Berge Meere und Giganten (German Edition)
Wache hinausgeleitet wurde, flüsterte er: »Keine Angst. Es geschieht dir nichts.«
Auf dem Zimmer, auf dem die Balladeuse gewartet hatte, die Decke zerzupfend, mit Jonathan sprechend, wartete Elina zwei lange Tage. Sie weinte, hatte Sehnsucht nach Jonathan, nachts wilde Angst. Stundenlang dachte fühlte sie über Marduk nach und war gequält. Zwei Tage lang kam Marduk nicht.
Aber was war das für ein Mensch, der den dritten Morgen ihre Türe öffnete, an der Wand stehen blieb, sich ihr näherte, im gelben langen geschnürten Mantel, den grauen Kopf senkend, sanft: »Elina, willst du mir gestatten, daß ich hier sitze.« Sie hatte unendliche Furcht vor ihm. »Du wirst in einer Stunde das Haus verlassen können. Und wirst hingehen, wo du willst. Nimm einen Gruß an Jonathan mit. Grüß ihn von mir. Er war ohne Grund besorgt um dich. Ich habe mich vergriffen. Ich habe es schon erkannt.«
Sie fühlte sich, auf dem Bettrand sitzend, bewegt, zu sagen, er möge doch nicht stehen. Es sei sein Zimmer, er möge sich setzen. Da fing er aus seinen großen braunen Augen sie betrachtend an: »Du liebst Jonathan. Sag mir, wie liebt ihr euch?« Sie blickte erstaunt, dann lächelte sie auf ihren Schoß herunter: »Er ist ja mein. Ich bin ihm von Herzen zugetan. Willst du das wissen? Seit ich ihn habe, ist mir die Erde schöner geworden. Seit ich ihn habe, ist alles gut geworden. Ich selbst bin gut geworden. Er brauchte es nicht werden, Jonathan, er war immer gut. Was soll ich dir sagen, Marduk. Ich vermisse ihn jede Stunde.« Er hielt den Kopf gesenkt: »Kannst du noch mehr sprechen.« »Von Jonathan? Immerfort könnte ich von ihm sprechen. Du glaubst gewiß nicht, was ich sage.« »Sprich doch weiter, Elina.« »Du kennst ihn ja selber. Du mußt nicht glauben, daß ich seiner unwert bin. Aber er weiß es selbst. Wenn man sich liebt, glaubt man das nicht. Ich liebe ihn nicht von gestern auf heute, und morgen ist nichts mehr. So innig, so innerlich bin ich ihm zugetan, daß ich mir gar nicht denken kann, daß dies erlischt. Ja, daß dies mit mir und Jonathan stirbt. Du magst lachen, Marduk; ich glaube, wenn du mich umbringst mit Jonathan –« »Was ist dann? Sprich nur. Ich bring euch gewiß nicht um.« Sie saß mit geschlossenen Augen, flüsterte nach einem Schweigen: »Die Welt wird dann schöner werden. Die Erde wird dann schöner. Wir werden nicht mehr zwei Menschen sein, die an einem Fleckchen, in einem Zimmerchen sind. Wir werden wandern, hier beseelen, da beseelen, wie eine Wolke. Wir werden viele glücklich machen. Wir sind auch vielleicht bei dir. Ich dachte schon manchmal, wessen Glück auf mich übergegangen ist, welchem süßen Abgeschiedenen ich zu danken habe.«
Tränen liefen ihr aus den Augen. Er fragte nicht. »Ich weine um ihn, Marduk. Was hat er in diesen Tagen gelitten. Du bist nicht schlimm. Wie ist es ihm gegangen, bevor wir uns fanden. Er hat solche Kraft zu leiden.« »Ich habe sie früh an ihm erkannt. Sie wird nicht absterben wie die andere Kraft, von der du sprichst.« Sie lächelte: »So viele Menschen haben Liebe, Marduk. Auch Tiere und Vögel und Schmetterlinge. Sogar Löwen und Bären.« Er lächelte nicht, als sie ihn anlächelte. »Du machst einen Scherz mit mir, Marduk? Ich weiß nicht recht, was du mit mir tust.« »Geh jetzt, Elina. Ich danke dir, daß du zu mir gesprochen hast. Du bist mir nicht böse.« »Nein, nein. Und ich kann jetzt gehen.« »Ich öffne dir.« Sie gab ihm die Hand, blickte ihn von der Seite an: »Lebewohl, Marduk. Leb’ recht wohl. Wovon bist du so grau? Und warum trägst du einen Bart?« »Jonathan soll mir nicht grollen.«
Wie sie im Hause ihres Freundes war und sie sich besänftigt hatten, drang Jonathan in sie: »Flieh mit mir.« Sie konnte nicht. »Du, Elina, ich sehe mein Geschick.« »Was ist das?« »Es ist das des flüchtigen Desir, des Freundes der Marion Divoise. Er haßt mich jetzt. Er will mich treffen. Er hat sich geschämt; er war zu rasch, er war zu deutlich. Aber er will mich treffen, mit dir, meiner Geliebten.« »Ich werde nie zu ihm gehen. Ich bin nicht die Balladeuse. Ich habe nur dich, ich habe es ihm gesagt, er hat es gehört. Mit dir zusammen sein ist mein Leben. Er weiß es und es ist wahr. An ihm – ist etwas Schauerliches. Zuerst hielt ich ihn sogar für schändlich. Ich weiß nicht, wie du sein Freund sein konntest. Du, mein wonniger Jonathan.« »War ich sein Freund? War ichs oder bin ichs? Er hat meine Mutter gemordet, ich habe es dir
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