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Berge versetzen - das Credo eines Grenzgängers

Berge versetzen - das Credo eines Grenzgängers

Titel: Berge versetzen - das Credo eines Grenzgängers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: BLV Buchverlag GmbH & Co. KG
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angestaute Motivation, eine Art Überwille, war es, die trotz der Weigerung des Kopfes, gegen die Müdigkeit im Körper anzukämpfen, ein Höhersteigen möglich machte. Der Hoffnungslosigkeit angesichts des vor uns scheinbar unendlich hoch aufragenden Gipfelgrats in 8800 Meter Höhe setzten wir Sturheit entgegen. Hinaufzukommen! Wir kamen hinauf.
    Ich hatte daran geglaubt. Bis zuletzt. Wie selbstverständlich saßen wir auf dem Gipfel. Wir hatten uns in eine Realutopie hineingesteigert, und plötzlich war sie gelungen, Realität. Glaube kann Berge versetzen.
    Beim Absteigen wusste ich, dass eines der letzten Tabus im Bergsteigen gefallen war. Es interessierte mich nicht. Jetzt war die Voraussetzung gegeben, noch einen Schritt weiter zu gehen: Alle Berge der Erde waren ohne Sauerstoffmaske besteigbar; es war bewiesen, dass der Mount Everest auch im Alleingang möglich war.
    Trotzdem, sofort hätte ich nicht den Mut gehabt, allein zum Mount Everest aufzubrechen. Die Ängste hätten mich aufgefressen. Auch fiel ich nach dem Erfolg in ein schwarzes Loch der Enttäuschung. Die Vision, die mich vorher ausgefüllt hatte, war Realität geworden. Als Utopie war sie tot. Mit ihr die Begeisterung, Konzentration, Motivation, die der unerreichte Gipfel gebunden hatte.
    Ich brauchte eine neue Idee, die zur Realutopie werden konnte. Und ich wusste: Das Vorankommen an der Grenze der Leistungsfähigkeit ist nur für den möglich, der den Weg der kleinen Schritte wählt. Schrittchen für Schrittchen sind Grenzen verschiebbar. Wenn ich weiß, dass A und B möglich sind, kann ich C möglich machen. Meine neue Realutopie hieß jetzt Mount-Everest-Alleingang.
    Vor 1978 hatte nie jemand einen Achttausender von der Basis bis zum Gipfel im Alleingang bestiegen. Wenige Wochen nach dem Everest-Aufstieg versuchte ich einen der kleineren Achttausender im Alleingang und natürlich ohne Maske. In drei Tagen stieg ich mit einem Rucksack von etwa 15 Kilo Gewicht über eine neue Route zum Gipfel des Nanga Parbat und über einen anderen Weg ab. Trotz unerwarteter Schwierigkeiten – ein Erdbeben beim Aufstieg zerstörte die Kletterroute hinter mir, Schneesturm hielt mich beim Abstieg in 7400 Meter Höhe fest – kam ich ohne größere Schäden vom Berg herunter.
    Nun erst war ich zum letzten Schritt bereit: allein bis ans Ende der Welt! Die beiden Erfahrungen zusammengenommen – Mount Everest ohne Sauerstoffmaske und Nanga Parbat im Alleingang – gaben mir die psychische Kraft, Selbstsicherheit und genügend Erfahrung, den höchsten Berg der Welt im Alleingang zu versuchen. 1980 erhielt ich von der chinesischen Regierung die Erlaubnis, den Everest ein zweites Mal zu besteigen. Diesmal von Norden, von Tibet her. Bis auf eine Höhe von 7000 Metern gab es keine Probleme. Dann zu viel Schnee. Ich wartete eine Unterbrechung des Monsuns ab und versuchte es wieder.
    Problematisch wurde es erstmals an einer Spalte knapp unter dem Nordsattel. Vorsichtig wollte ich über diese Randspalte setzen, die nur andeutungsweise zu erkennen war. Ich hatte die bergseitige Spaltenwand, eine steil aufragende Schneeflanke, mit dem Pickel noch nicht erreicht, als mein talseitiger Fuß nachgab. Ohne mich halten zu können, fiel ich 8 Meter tief in ein Loch, in eine ASpalte. Unverletzt blieb ich auf einer Schneebrücke liegen. Zum Glück. Zitternd sah ich nach oben. Es schien keinen Ausweg zu geben. Da war nur ein baumstammdickes Loch, über dem die Sterne funkelten. Ich war gefangen. Lebendig begraben im Eis. Die Spalte ging nach unten hin weiter auseinander, der Abgrund unter mir war unergründlich. Im Spreizschritt hätte ich aus meiner Position nicht hochsteigen können. Was tun?
    Mit viel Glück fand ich – nachdem ich mir geschworen hatte, aufzugeben und nach Hause zu reisen, wenn ich lebend aus der Spalte herauskäme – ein Höhlensystem, eine Art Rampe im Berginnern, über die ich nach außen klettern konnte. Als ich wieder im Freien war, stieg ich aufwärts. Ich hatte meinen Vorsatz, aufzugeben, vergessen oder verdrängt. Wie in Trance, als wäre ich auf den Gipfel programmiert, ging ich zum Loch zurück, durch das ich gefallen war, setzte vorsichtig darüber. Zügig stieg ich weiter zum Nordsattel und dann den Nordgrat hinauf. 1400 Höhenmeter schaffte ich an diesem Tag. Ich hatte den Aufstieg, bevor ich ihn ausführte, so

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