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Bergisch Samba

Bergisch Samba

Titel: Bergisch Samba Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Buslau
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nicht instinktiv abzuschütteln.
    »Wollen Sie es nicht machen?«, fragte sie. »Wenn Sie den Fall nicht übernehmen wollen, dann sagen Sie es nur. Ich werde jemanden anderen finden.«
    Ich schüttelte den Kopf. Natürlich wollte ich. Ich würde zur Polizei gehen, abklären, ob es wirklich keine Fortschritte in dem Fall gab. Ich würde nach den Zeugen fragen, und wahrscheinlich würde man sie mir auch nennen. Dann würde ich mich mit den Leuten unterhalten. Das Ganze würde zwei, drei Tage dauern und mir drei Tagessätze zu jeweils zweihundert Euro einbringen. Mein Konto wäre wieder im Lot, und ich hätte sogar noch etwas übrig. Der nächste Monat konnte kommen.
    Aber etwas in mir sperrte sich dagegen. »Ich will Ihnen keine falschen Hoffnungen machen, Frau Weitershagen«, sagte ich. »In so einem Fall sind die ersten paar Stunden, die ersten Tage entscheidend für die Ermittlungen. Nach sieben Monaten noch etwas herauszufinden, ist praktisch unmöglich. Und wenn - wird sich die Polizei darum kümmern.«
    Frau Weitershagens Gesichtsausdruck änderte sich. Sie schien über irgendetwas angestrengt nachzudenken.
    »Erklären Sie mir bitte genau, warum Ihnen ausgerechnet dieser Fall so nahe geht«, sagte ich.
    »Aber das habe ich doch getan. Das Kind …« Sie sah mich an, und wahrscheinlich waren mir die Zweifel deutlich anzusehen. Jedenfalls verstand sie plötzlich, was ich meinte.
    »Kommen Sie mit«, sagte sie.
    Sie setzte entschlossen den Rollstuhl in Betrieb, fuhr rückwärts vom Tisch weg und brachte das Gefährt mühevoll auf Kurs in eine andere Ecke des Wohnzimmers.
    »Kommen Sie nur.«
    Ich erhob mich und folgte ihr langsam - vorbei an einer Vitrine mit dunkelgrünen Gläsern, einem altmodischen Sekretär mit Intarsien und einem Kamin, in dem aufgeschichtet das Holz bereitlag. Dieser Teil des Raumes diente offenbar als Bibliothek. Dem Kamin gegenüber erstreckten sich Bücherregale aus dunklem Holz.
    Frau Weitershagen stoppte vor einer Wand, auf der sich Fotografien drängten. Sie steckten in unterschiedlichen Rahmen, besaßen verschiedene Größen - vom Miniplakatformat bis zum Passbild. Manche waren Farbaufnahmen, andere schwarzweiß, manche waren alt, andere neueren Datums. Sie hatten jedoch alle eines gemeinsam: Sie zeigten immer dieselbe Person - einen jungen Mann in den Phasen seines Lebens. Als Baby auf einem flauschigen Teppich, als Krabbelkind im Laufstall, am ersten Schultag mit knallbunter Schultüte, als Halbwüchsigen im engen Anzug vor einer Kirche; ich vermutete, dieses Bild war von der Konfirmation. Dann in Badehosen neben einer Art Kanu vor einem orangefarbenen Zelt an einem See und schließlich als etwa Zwanzigjährigen vor einem Betongebäude, das mich an die Bergische Universität erinnerte.
    Vor der Bilderwand stand ein kleiner Tisch, auf dem wie zufällig ein paar alltägliche Dinge lagen: ein blaues Schulheft, eine Armbanduhr mit Kompass und Stoppuhrfunktion. Ein Schulfüller. Ein Personalausweis - noch einer von diesen alten, grauen. Daneben ragte eine dicke weiße Kerze auf. Sie brannte nicht, aber der Docht war schwarz.
    »Das ist mein Sohn«, erklärte Frau Weitershagen. »Er ist am 23. August 1999 ums Leben gekommen. Es war ein Verkehrsunfall.«
    »Das tut mir Leid«, murmelte ich.
    Frau Weitershagen schien mich gar nicht zu hören; sie hatte den Blick fest auf ihren Hausaltar gerichtet. »Es war kurz nach seinem sechsundzwanzigsten Geburtstag. Er ist in den Semesterferien nach Rom gefahren. Er studierte Kunstgeschichte, wissen Sie. Er wohnte irgendwo außerhalb in der Wohnung eines Freundes. Als er abends zurückkam, wurde er vor dem Gebäude getötet.«
    Sie wischte sich mit der Hand durchs Haar. »Harry muss lange an der Unfallstelle gelegen haben. Fußgänger haben ihn gefunden. Man geht davon aus, dass er von einem Wagen angefahren wurde. Man hat den Fahrer des Wagens nicht gefunden. Bis heute nicht, verstehen Sie? Und es ist jetzt vier Jahre her.«  
    Ich nickte.  
    »Ich kann es einfach nicht mit ansehen«, fuhr sie fort, »dass da ein Kind umkommt, und niemand kümmert sich darum. Irgendwo muss doch eine Mutter oder sonst wer um das Kind trauern. Irgendwo muss es doch ein Zuhause gehabt haben. Und wenn nicht…«, ihre Stimme klang brüchig, »umso schlimmer.«
    Frau Weitershagen starrte immer noch die Hinterlassenschaften ihres Sohnes an. Dann riss sie sich los. Ich konnte erkennen, wie ein Ruck durch ihren Körper ging, als sie ihren Rollstuhl in Gang setzte und zum

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