Bergrichters Erdenwallen
Festrede hielt Papa Ratschiller in kerniger, kurzer Weise, zu deren Schluß der Sekt in den Gläsern schäumte und allseitig das übliche Hoch auf das Brautpaar erklang. Nun sind die Schleusen der Beredsamkeit geöffnet, der reichlich, schier verschwenderisch gegebene Champagner that ein Übriges, die Etikette lockerte sich zur zwanglosen Unterhaltung und zu freieren Sitten.
Übermütig lustig ward Frau von Bauerntanz, die in gierigen Zügen diese so seltenen Lebensfreuden genoß, und es willig duldete, daß ihr Tischnachbar ein Rendezvous forderte. Kichernd nickte sie Hundertpfund zu und animierte ihn zum weiteren Erzählen von Pikanterien aus der Großstadt. Als das Diner zu Ende ging, war die Doktorin es, die den bezaubernden Nachbar animierte, den Verkehr im Hause durch eine Staatsvisite aufzunehmen, und Hundertpfund warf ihr einen seiner feurigen Blicke zu, der die hübsche Frau erglühen machte bis zu den Haarwurzeln hinauf. Im lustigen, weinfrohen Getriebe blieb das Spiel der beiden völlig unbeachtet, die andern waren mit sich selbst und den Flaschen beschäftigt.
Spät endete das Fest, und auch das Abschiednehmen und Bedanken fand einen Schluß. Plaudernd entfernten sich die Gäste. Franz begleitete Emmy nach Hause. Ratschiller sen. fühlte sich nicht recht wohl, er fand Luft und Cigarrendampf erstickend, und begab sich zur Ruhe, nachdem er der Gattin jegliche Sorge ausgeredet hatte.
Ruhe! Ja, wenn die Träume nicht wären. Wieder diese entsetzlichen Traumbilder vom Steinmangel und Konkurs. Ratschiller verbrachte diese Nacht so schlecht wie die früheren.
VI.
Noch nie befand sich der Richter in ähnlicher, fieberhafter Erregung als eben jetzt, da der Gendarm Sittl seinen Rapport erstattet, und den Schraubenzieher auf den Amtstisch gelegt hat. Sittl sagte präcis aus, daß der verdächtige Weirather thatsächlich Plattfüße, den rätselhaften Zettel als sein Eigentum bezeichnet habe.
„Was ischt 's mit dem Zettel?“ fragte hastig der Richter.
„Weirather wollte ihn zurückhaben und wurde ordentlich grob, als ich die Ausfolgerung verweigerte. Eine Erklärung aber gab er über den Inhalt des Zettels nicht. Im Streit gelang es mir aber, den Schraubenzieher zu erwischen und einzustecken.“
„Nun, denn an's Werk!“ rief Ehrenstraßer, nahm den Akt vom Pult, las die Maße über das Instrument heraus und begann am Schraubenzieher zu messen. Bleich vor Erregung konstatierte der Richter, daß die Maße haarscharf auf den Millimeter stimmten. Genauer ist niemals eine Untersuchung und Protokollführung vorgenommen worden, und nun lohnt sich solche Genauigkeit in überraschender Weise geradezu wunderbar. Aber es reicht alles nicht aus, den Weirather zu verhaften. „Wir müssen noch wissen, ob der Verdächtige den Schraubenzieher bereits vor dem Einbruche im Besitze gehabt oder erst hintendrein erworben hat. Recherchieren Sie sofort bei hiesigen Kaufleuten oder auch bei dem Werkzeughändler am Marktplatze unter Vorzeigung des Instrumentes, das Sie aber nicht aus der Hand geben dürfen. — Kommen Sie aber möglichst rasch zurück!“
Eine andere Arbeit zu beginnen, war dem Richter in solcher Erregung schlechterdings nicht möglich. Immer wieder las er den Akt Amareller durch und eine gewiße Befriedigung erfüllte sein Herz. Wird es doch nur seiner Gründlichkeit zu danken sein, daß Licht in die dunkle Sache gebracht und ein Verbrecher dem Richter zugebracht werden kann.
Perathoner, der dicke Amtsdiener, meldete einen Herrn, der in dringlicher Angelegenheit den Herrn Bezirksrichter zu sprechen wünsche.
„Ich habe keine Zeit!“
„Der Herr ischt gut gekleidet, und macht seine Sache sehr pressant!“
„Gut denn, lassen Sie ihn vor! Gott, diese ewigen Störungen!“ Wenige Minuten später dienerte ein Herr in die Kanzlei, bei dessen Anblick Ehrenstraßer sich des Gedankens nicht erwehren konnte, daß er es mit frecher Zudringlichkeit irgend eines Agenten zu thun habe.
Doch die Anrede des Fremden verscheuchte solche Vermutung, denn der Besucher begann zu erklären, daß er gekommen sei, vom löblichen Gericht eine Auskunft über einen gewissen Weirather zu erbitten.
„Weirather? Jenen Geizhals? Ich muß Ihnen bemerken, daß das k. k. Bezirksgericht kein Auskunftsbüreau ischt. Wer sind Sie und was wollen Sie?“
„Ich erlaube mir, mich vorzustellen: Christian Egger aus Innsbruck!“
„Und was wollen Sie?“
„Ich hätte gern eine Auskunft über einen gewissen Weirather, Kaufmann,
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