Das Glueck einer einzigen Nacht
1. Kapitel
Viel zu schnell steuerte Barbara Hayden ihren Ferrari über die schmalen, kurvenreichen Straßen des Ozark Plateaus. Sie war auf einer Reise in die Vergangenheit, ihre Vergangenheit, die sie lieber für immer vergessen hätte.
Aber die schmerzlichen Erinnerungen daran, wie man sie in ihrem Heimatort Farretts Corner behandelt hatte, quälten sie noch immer. Zehn Jahre ihres Lebens hatte sie nun damit verbracht, sich von dem Vergangenen zu lösen.
Zum größten Teil war ihr das auch gelungen. Jenseits der Berge, in denen sie aufgewachsen war, kannte man sie nicht als die rebellische, gesellschaftlich untragbare Barbara Logan. Sondern dort war sie die Witwe des Ölbarons Jess Hayden, Erbin eines Millionenvermögens, der man Achtung zu zollen hatte.
In ihrer Jugend hätte Barbara es nicht gewagt, von Reichtum zu träumen. Sie war in bescheidenen Verhältnissen aufgewachsen, für Träumereien gab es keine Zeit. Ihr Vater war ein armer Farmer, und sie sah nie eine Chance, einmal in die bessere Gesellschaft aufzusteigen.
„Barbara“, pflegte ihr Vater immer zu sagen, „es gibt Menschen, die müssen ein Leben lang knausern, und andere, denen alles zufällt. Es steht uns nicht zu, danach zu fragen, warum das so ist. Je eher du dich mit deinem Schicksal abfindest, desto schneller wirst du diese nagende Unzufriedenheit los.“ Immer wieder gingen ihr die Worte ihres Vaters durch den Kopf, während sie über die unbefestigte Straße nach Farretts Corner fuhr. Vor zehn Jahren hatte sie diese Straße das letzte Mal gesehen, und doch war sie ihr ebenso vertraut geblieben wie der erdige Geruch des roten Lehmbodens. Einige Erinnerungen konnten eben weder durch Zeit noch durch Entfernung ausgelöscht werden.
Solche Gedanken gingen Barbara durch den Kopf, als sie den Ferrari auf dem Parkplatz am Fuß einer kleinen Anhöhe abstellte, auf der die Festhalle von Farretts Corner lag. Durch ein Pappelwäldchen und die riesigen alten Tannen fiel bleiches Mondlicht und warf einen silbernen Schimmer über die Berge. Nur das Zirpen der Zikaden und gedämpfte Musik vom Festsaal unterbrachen die Stille.
Tief atmete Barbara die klare Bergluft ein. Die Ozarks, jene Bergkette, – die sich vom Süden Missouris bis nach Arkansas und Oklahoma erstreckt, hatten schon immer eine besondere Faszination auf sie ausgeübt. Dies hatte sich selbst in den Jahren, die sie fern ihrer Heimat verbracht hatte, nicht geändert. Hier war das Zuhause der Barbara Logan, Tochter eines kleinen Farmers, gewesen. Hier würde die reiche, kultivierte Barbara Hayden aus Dallas ihre innere Kraft auf die Probe stellen.
Barbara blickte über die Hügel, und unwillkürlich lief ihr ein kalter Schauer über den Rücken. So wie sich die Schönheit dieser Berglandschaft nicht verändert hatte, würden auch die Moralvorstellungen in Farretts Corner dieselben geblieben sein. Die Dorfbewohner würden ihre Engstirnigkeit nie verlieren.
Sanft schaukelten die bunten Lampions vor der Festhalle im Abend wind, leicht blähte sich das Spruchband über dem Eingang in der leichten Brise. Nachdenklich las Barbara die Inschrift: „Farretts Corner heißt die Schulabgänger von 1970
willkommen.“ Ob der Gruß auch ihr galt? Barbara bezweifelte es. Sie war nicht gerade die beliebteste Schülerin gewesen, dafür aber diejenige, über die am meisten geklatscht wurde. Bei der Erinnerung an das hinterhältige Getuschel und das spöttische Gekicher hob Barbara trotzig das Kinn – genauso wie damals. Und so wie früher auch, versuchte sie sich einzureden, daß ihr all der Klatsch und die Verleumdungen egal seien.
Entschlossen öffnete sie die Wagentür und stieg aus. Prüfend blickte sie an ihrem gewagten Kleid herunter. Obwohl sie sonst einen eher konservativeleganten Stil bevorzugte, hatte sie heute ganz absichtlich ihr auffälligstes Kleid angezogen.
Sollten sich ihre ehemaligen Klassenkameraden nur die Hälse verrenken, schließlich hatte man sie schon immer für eine skandalöse Person gehalten.
Warum sollte sie diese Spießer nach zehn Jahren plötzlich enttäuschen? Ihre braunen Augen funkelten. Jess, ihr verstorbener Mann, hatte oft gesagt, daß sie ihn an eine Löwin erinnere – stolz, aber schlau und gerissen. Und nie hatte seine Beschreibung besser auf sie gepaßt als heute abend.
Marybeth Simmons unterbrach ihren Redeschwall über die unheilvolle Wirkung des Alkohols gerade lange genug, um sich ihr zweites Glas GinTonic zu nehmen.
Doch noch bevor sie getrunken
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