Bergrichters Erdenwallen
ja! Nur gestatten Herr Bezirksrichter die Frage, ob mit dem Tode des Cajetan auch jene Fluchtbegünstigung durch den Einödpater erledigt ischt?“
„Dem Pater dürfte zweifelsohne das nötige Bewußtsein einer straffälligen That gefehlt haben und dadurch entfällt jede weitere Verfolgung der Angelegenheit. Wir können diesen Fall als erledigt betrachten!“
„Zu Befehl! Geruhsame Nacht, Herr Bezirksrichter!“
„Gute Nacht, Sittl! Erholen Sie sich nur recht gut von der strapaziösen Patrouille!“
Bald nach dem Abgang des Gendarmen entfernte sich auch Ehrenstraßer aus dem Gerichtsgebäude in der Absicht, seine Häuslichkeit aufzusuchen. Unterwegs traf er jedoch den Bezirksarzt, der ihn einlud, ein Dämmerschöpple im „Ochsen“ mitzutrinken.
„Topp, es gilt! Bin sonst zwar kein Wirtshausverehrer, aber auf ein oder zwei Vierschtele Röthel soll es nicht ankommen!“ erwiderte Ehrenstraßer.
Im Honoratiorenstübchen des „Ochsen“-Wirtshauses war eine kleine Tafelrunde von Beamten der Bezirkshauptmannschaft und des Gerichtes versammelt, welche die beiden eintretenden Herren freundlichst begrüßte und ihnen bereitwilligst Platz machte. Der Bezirkskommissar, ein lebhaftes Männchen, wendete sich sogleich an Ehrenstraßer mit der Bemerkung: „Herr Bezirksrichter kommen wie gerufen, um als unser bester Jurist eine heikle Frage zu entscheiden, über welche wir eben debattierten, ohne einen Ausweg finden zu können!“
Ehrenstraßer liebte nun das „Fachsimpeln“ am Wirtshaustische absolut nicht, doch wollte er sich nicht vorneweg ablehnend verhalten und fragte daher höflich: „Welche Frage ischt das, meine Herren?“
Lebhaft sprach der Kommissar: „Die Frage lautet: Ischt Selbstmord strafbar?“
Aller Augen richteten sich erwartungsvoll auf den Richter, welcher ein spöttisches Lächeln nicht unterdrücken konnte.
Den Kommissar reizte dieses Lächeln der Überlegenheit und des Spottes, sofort zu sagen: „Die Frage ist durchaus nicht lächerlich! Der Selbstmord wird heutzutage nicht bestraft, weil ihn das Strafgesetzbuch nicht kennt. Es hat dies aber seine bedenklichen Konsequenzen. Es muß doch unnatürlich erscheinen, jemanden, der einen anderen, in einer vielleicht vorübergehenden widerlichen Lage Befindlichen zum Selbstmord bestimmt hat, vollständig straffrei zu lassen!“
„Jawohl! Wir möchten auch wissen, ob Selbstmord, streng genommen, strafbar sein müsse!“ riefen einige Herren der Tafelrunde.
Ehrenstraßer erwiderte in der ihm eigenen Ruhe: „In solcher Form gestellt ischt diese Frage ein ebenso guter Witz, als wenn man fragt: Ischt Sterilität vererblich? Die Frage kann nur lauten: Ischt versuchter Selbstmord oder Beihilfe zum Selbstmord sträflich? Meines Wissens bestrafen nur England, Nordamerika und Ungarn den versuchten Selbstmord. Österreich aber nicht. Beihilfe zum Selbstmord, z.B. durch Verabreichung von Gift, dürften wohl alle civilisierten Staaten strafen, Österreich speziell als Übertretung der §§ 431 und 435, eventuell als Vergehen nach § 335 des Strafgesetzbuches. Wenn man mit Worten spielen wollte, ließe sich die gewaltsame Hinderung eines Selbstmordes allerdings als öffentliche Gewaltthätigkeit durch Beschränkung der persönlichen Freiheit auffassen, allein man darf nicht vergessen, daß ein Gesetz und Strafgesetz nicht ein Konglomerat von Worten und Sätzen, sondern ein auf einem wissenschaftlich aufgebauten einheitlichen System beruhendes Werk, resp. ein Teil eines solchen ischt, und daß nach jedem Strafgesetz nur das, was rechtswidrig ischt, und das öffentliche Wohl verletzt — bei Verbrechen überdies in höherem Grade — strafbar ischt. Das kann wohl von der Hinderung des Selbstmordes nicht behauptet werden!“
Die Absicht, durch diese sinngemäße Erklärung einer zwecklosen Wirtshausdebatte ein Ende zu machen, erzielte Ehrenstraßer nicht, im Gegenteil verbissen sich die Herren, Juristen wie Laien, förmlich in dieses Thema und brachten schließlich die monströse Behauptung fertig, daß eine Staatsanwaltschaft sich gegen die Strafprozeßordnung verfehle, wenn sie gegen Leute nicht einschreite, welche einen anderen mit Gewalt von einer Selbstmordshandlung zurückhalten, zu welcher derselbe berechtigt war.
Dem Richter ward dies zu bunt, kurz erwiderte er: „Das ischt Rabulistik!“ trank aus, zahlte und ging.
Wider Willen beschäftigte Ehrenstraßer das Thema und zwar just in dem Augenblick, da er unter der Luftseilbahn der
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