Bergrichters Erdenwallen
Weiteren, so möchten Sie die Sache kriminalisch doch ohne Angabe meines Nahmens und Wohnortes betreiben. Sind Sie doch so wohl!
Hochachtungsvol und auf Ihre Gütte hoffend
zeichnet
N. N.“
Ehrenstraßer lachte, daß ihn die Thränen in die Augen kamen. „‚Vater aller ledigen Kinder im ganzen Bezirk‘, das ischt ausgezeichnet! Da muß ich doch recherchieren lassen, wer die Absenderin dieses famosen Briefes ischt! Helfen soll ich, aber die Verfasserin des Bittgesuches wünscht unbekannt zu bleiben. Ein Kunststück, solche Hilfe! Ja, das Bergvolk!“
Wieder ruhig geworden, klingelte Ehrenstraßer und abermals trat ein Paar ein, eine Weibsperson von etlichen 40 Jahren und ein Mann, den ersichtlich die Jugend nicht mehr plagte. Das Weib begann sogleich über die schlechten Zeiten zu jammern, über Not und Teuerung und Geldmangel.
„Schön! Und was hat der Mann auf dem Herzen?“ fragte der Richter.
„Herr Tagrichter! Ich kann's beschwören, daß ich nix hab' und nix zahlen kann!“
„Also wieder die leidige Sache einer Alimentierung! Seid doch gescheit, Leute, und macht solcher Geschichte durch Heirat ein Ende!“
Unisono rief das Paar: „ Sell sind wir ja eh (ohnehin)!“
Nun vermochte Ehrenstraßer doch seine Überraschung nicht zu verbergen und rief. „Na, also! Wenn ihr ein kirchlich getrautes Paar seid, was wollt ihr denn dann vor Gericht?“
Der Mann stammelte beklommen: „Mit Verlaub, Herr Richter! Verheiratet sind wir schon, aber jedes mit einem anderen! “
Um nicht laut auslachen zu müssen, biß sich Ehrenstraßer auf die Lippen und winkte den Leuten, sich zu entfernen.
Die nächste Partei war eine Bergbäuerin, die ächzend einen Korb in die Kanzlei schleppte, ihn vor dem Gerichtstisch niederstellte und über den weiten Weg zu jammern begann.
„Willst du klagen, Weibets?“
„Freilich, Herr Rat! Der Weg ischt soviel schlecht aus 'm Graben ausser (heraus)!“
„Ich meine, ob du gegen jemand in einer Streitsache klagen willst?“
„Ah so wohl! Freilich!“
„Wie heißt du, Bäuerin?“
Das Weib strich die Kittelfalte glatt und schwieg.
„Wie schreibst dich denn, Weibets?“
„I kann nit schreiben!“
Mit Engelsgeduld fragte Ehrenstraßer abermals nach dem Begehren. Jetzt stand die Bäuerin auf, öffnete den Korbdeckel und sagte: „Ich thät schön bitten, Herr Rat, es san die ersten — kaufen S' mir den Korb schöne Kerschen (Kirschen) ab! “
Was wollte der Richter machen! Er läutete, der Amtsdiener führte die Bäuerin hinaus und bedeutete ihr, daß das Hausieren bei Gericht verboten sei.
Die Uhr zeigte gegen zwölf, da trollte noch ein Bauer herein, der sich beim Eintritt in die Kanzlei bekreuzte, eine Kniebeugung wie vor dem Allerheiligsten im Hochaltar der Kirche machte und dann um geneigtes Gehör bat.
„Red' nur von der Leber weg!“
„Mit Verlaub, gnä' Herr! Ich möcht' klagen, weil meine Alte ein furchtbares Maul hat! “
„Was?“ rief Ehrenstraßer vor Überraschung.
„Wohl, wohl, es ischt schun so! Das Weib schimpft von früh bis spat, ich kann der Alten gar nichts mehr recht machen!“
„Ischt denn dein Weib so eifersüchtig? Oder hast du dein Eheweib etwa vernachlässigt?“
„Na, na, keinen Schein davon!“
„Was thust du denn, wenn das Weib schimpft?“
„Aftn (hernach) schimpf' ich ô!“
„So! Da kann ich dir nur raten. Thue so, als wenn du torret (taub) wärest! Je ärger das Weib schimpft, desto freundlicher mußt du sein. Deine Alte will dich wohl bloß in Zorn bringen. Gelingt ihr das nimmer, so hört sie schon zu schimpfen auf!“
Der Bauer stand perplex, mit weit offenstehendem Mund. Dreimal wiederholte Ehrenstraßer seine Meinung, erst zum viertenmale verstand der Bauer so viel, daß er sein Weib „extrig guet“ behandeln solle. Darob schüttelte der Bergler den Kopf, bekreuzte sich wieder, offenbar aus höchstem Respekt vor Kanzlei und Richter und entfernte sich.
Der Richter aber rief ins Vorzimmer hinaus, daß jetzt Pause bis drei Uhr nachmittags gemacht werde, die Parteien also um diese Zeit sich wieder einfinden sollen. Dann ging Ehrenstraßer heim zu Tisch.
Die Wiederaufnahme des Dienstes am Nachmittag brachte schon in der ersten Partei, die Ehrenstraßer persönlich bekannt ist, eine ergötzliche Scene. Der Grillhofer aus einem Orte, der gut vier Stunden vom Städtchen entfernt ist, bat um die Erlaubnis, seinem Herzen Luft machen zu dürfen.
Solche Einleitung kennt der Richter aus Erfahrung als sehr gefährlich
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