0768 - Das Ende der Ewigkeit
Todd Radcliffe liebte seinen Job als Werkschutzmitarbeiter bei Tendyke Industries, aber in dieser Nacht änderte er seine Meinung.
Wie oft hatte er in all den Jahren die Uniform übergestreift, das Gefühl genießend, etwas Besonderes zu leisten, auserwählt zu sein. Er wusste, dass nur die besten Leute gut genug für das Sicherheitsteam waren. Das galt schon, als noch Will Shackleton der Sicherheitsmanager der T.I. gewesen war.
Als Shackleton eines Tages starb -niemand erfuhr jemals etwas über die Todesursache, und die Leute ganz oben, die es wissen mussten, schwiegen sich aus -, hatte Todd Radcliffe fast das Gefühl gehabt, einen Mentor zu verlieren. Nicht im wörtlichen Sinne; dafür hatte er entschieden zu wenig Kontakt mit Shackleton. Aber der Alte hatte Qualitäten gehabt, wie sie sich jeder Arbeiter bei seinem obersten Vorgesetzten wünschte: Verantwortungsbewusstsein, Führungskraft und trotz aller Härte immer ein Ohr für die Basis. Daraus ergab sich eine natürliche Autorität. Shackleton war der Inbegriff dessen gewesen, was die T.I. bis hinauf zu ihrem Besitzer Robert Tendyke ausmachte: Menschlichkeit.
Doch davon war vieles verloren gegangen, seit Rhet Riker als Geschäftsführer eingesetzt worden war.
Todd Radcliffe hatte keine Ahnung von den Entscheidungen, die auf der obersten Ebene getroffen wurden, und er interessierte sich auch nicht dafür. Er bekam nur die Konsequenzen mit. Das Klima in der Firma verschlechterte sich unmerklich, und die Geheimnisse nahmen zu. Irgendwann war die Forschungsabteilung zu einem Top-Secret-Zentrum erklärt worden, zu dem nur noch ausgesuchte Mitarbeiter Zugang hatten. Todd Radcliffe gehörte dazu, obwohl er nicht verstand, was dort vor sich ging. Oder gerade deswegen?
Er war eine Zeitlang dem technischen Bereich unterstellt gewesen, bis dort kürzlich unter größter Geheimhaltung ein neues Projekt gestartet wurde. Man munkelte, dass ein außerirdisches Raumschiff gefunden worden war, das man jetzt zerlegte und analysierte. Genaueres wusste niemand.
Todd zerbrach sich nicht den Kopf darüber, denn sein Aufgabenfeld war jetzt ein anderes. Er hatte die Sicherheit der medizinischen Abteilung zu gewährleisten. Ein Haufen Eierköpfe, deren oberster Leiter ein gewisser Dr. Nome Berenga war - ein Massai und überhaupt verdammt jung für einen so verantwortungsvollen Posten.
Radcliffe hatte nicht viel mit Berenga zu tun. Man kannte und grüßte sich. Der Arzt schien in Ordnung zu sein. Er machte ganz und gar nicht den Eindruck einer vertrockneten Laborratte. Aber auch er hielt sich an die strengen Geheimhaltungsabsprachen, die von der Konzernspitze vorgegeben waren.
Zu gern hätte Radcliffe mal einen Blick in die Labors geworfen, deren Betreten ihm untersagt war. Aber er war ein loyaler Mitarbeiter, der seine Neugier zu zügeln wusste.
Wenn er abends nach Hause kam, erzählte er Mary so wenig wie möglich über den Job, und sie fragte ihn auch nicht. Tendyke Industries zahlte gut, und dafür verdiente der Konzern seine Loyalität.
Nachts, wenn er wieder einmal schlaflos im Bett lag und an die Decke starrte, fragte Radcliffe sich bisweilen, ob er das Richtige tat. Was, wenn dort in den Labors etwas Illegales geschah? Jeder hatte schließlich schon einmal diese Filme im Fernsehen gesehen. Verbotene Experimente, Virenzüchtung, Entwicklung von Biowaffen… Vielleicht arbeitete er für die falschen Leute?
In solchen Fällen drehte er sich auf die Seite und schloss die Augen. Todd fühlte sich nicht berufen, ein Urteil zu fällen. Wie sollte er auch? Er wusste gar nichts. Er machte nur seinen Job.
So dachte er auch an diesem Abend.
Und dann hörte er das Geräusch.
***
Es kam aus dem Nebenzimmer.
Todd tastete nach der geladenen rifle unter seinem Bett. Er stand auf, leise, um seine Frau Mary nicht aufzuwecken. Der Griff der Flinte war kalt, aber Todds Hände zitterten nicht. Er war den Umgang mit Waffen gewöhnt. Ein regelmäßiges Schießtraining war Voraussetzung für die Mitgliedschaft im Werkschutz der T.I.
Er sah auf die Uhr. Zwanzig nach drei.
Jack und Sadie, die beiden Kinder, schliefen vermutlich tief und fest. Marys regelmäßige Atemzüge verrieten ihm, dass er der Einzige war, der die Einbrecher gehört hatte.
Nicht mal Warren regte sich, wie Todd mit einem kurzen Blick auf den Bettvorleger feststellte. Er nahm es dem alten Kerl nicht übel. Der zierliche Pinscher hatte die Hundepensionsgrenze vor Jahren überschritten, war auf einem Auge blind und
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