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Berichte aus dem Christstollen

Berichte aus dem Christstollen

Titel: Berichte aus dem Christstollen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Weiler
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Telefon brauche, um gleichzeitig mit einer Freundin zu sprechen und mit einer anderen zu chatten, während oben noch das Skype-Fenster für jemand Drittes geöffnet sei. Das Pubertier unterhält so eine Art Callcenter in ihrem Zimmer. Wenn es bei mir nicht mehr läuft, kann sie uns damit vor dem Untergang bewahren.
    Ich fing an, im Internet zu recherchieren, was die Wünsche meiner Kinder kosteten und wann die Budgetgrenzen erreicht waren. Da kam meine Gattin ins Büro. Sie habe gehört, man könne bei mir Wunschzettel abgeben, sagte sie und winkte mit einem Blatt Papier. Darauf standen Wünsche mit Sternchen zwischen eins und sechs. Sie sagte, das diene meiner Orientierung.
    Ich folgte also den Sternen meiner Familie und wurde in den vergangenen Wochen zum Experten für PC -Lautsprecher, Handcremes aus Long Island und Actionfiguren. Auch ich wurde nach Wünschen gefragt, aber ich habe keine. Brauche nichts. Vielen Dank. Ich wünschte mir letztlich nur ein neues Kännchen zum Milchaufschäumen, weil Nick das alte im Sommer zu einer Rakete umgebaut, mit Rasenmäherbenzin betankt und in die Luft gesprengt hat. Ein Fünfsternegeschenk. Und ich wünschte mir Gesundheit. Nick und Carla waren empört. Das sei ein total uncooler Opawunsch. Mag sein. Aber ich würde hundert Sternchen dranmachen, wenn es hülfe.
    An Heiligabend bekam ich ein Metallkännchen und einen stilsicher verpackten hölzernen Mundspatel geschenkt. Von meinem Sohn. Mit Filzstift hatte er daraufgeschrieben: «Gute Gesundeit für Papa.» Ich werde das A-Hölzchen in Ehren halten. Nichts ist wichtiger als gute Gesundeit.

Germanische Knödel und östliche Unholde
    Kaum war der letzte Karton im Altpapier, das letzte Gänsebein verdrückt und das erste Geschenk kaputt (ein ferngesteuerter Mini-Hubschrauber, der an unserem Fernseher havarierte. Kaufen Sie so etwas nie. Es lohnt sich nicht. Echt nicht), packten wir auch schon für die Skiferien. Das machen alle Bewohner Süddeutschlands so. Spätestens am zweiten Weihnachtstag quälen sie sich Richtung Berge. Ein wahnsinniger Stress, aber sie wollen es nun einmal nicht anders.
    Bisher ging es für uns immer in die Schweiz, aber diesmal stand plötzlich Österreich zur Diskussion, und zwar weil es dort Germknödel gibt. Unser Sohn möchte deshalb überhaupt nur noch nach Österreich. Auch im Sommer. Ich versuchte ihm einzureden, dass es sich bei einem Germknödel um ein kleines wehrloses Tier handele. «Der Germknödel», behauptete ich, «hat vier Beinchen, aber die fallen ab, wenn man ihn kocht. Germknödel werden im Allgemeinen geschossen, zuweilen aber auch über Klippen gehetzt und nicht selten mit Dynamit bejagt. Das ist aber in Österreich verboten, weil sich dann Lawinen lösen können. Gerade das Salzburger Land gilt als überjagt, oft werden sogar Jungtiere abgeknallt.»
    Dies alles beeindruckte Nick so sehr, dass er nun erst recht nach Österreich wollte, um sich das mal genauer anzusehen. Also fuhren wir nach Obertauern, einem Ort auf 1700  Metern, den ausschließlich Drottl (österreichisch für «Trottel») mit Sommerreifen befahren und der im August praktisch unbewohnt ist. Angeblich hat dann nur ein Hotel geöffnet, und in dem machen Busreisende Urlaub, denen man weisgemacht hat, es sei dort im Sommer nicht so überlaufen.
    In Obertauern, so wurde uns vorher zugeraunt, regiere inzwischen der Iwan. Da stellt man sich ja sofort dröhnende Ost-Unholde vor, die nach dem Trinken in ihr Glas beißen, Hotelpagen und Kellner mit Ochsenziemern verprügeln und abends in der Bar einen Säbeltanz aufführen. Man wünscht es sich geradezu, damit man sich am Nebentisch Sarrazinesken zuzischeln kann. Ist aber alles nicht passiert, bis auf den Säbeltanz – und der war gar nicht übel.
    Der Skikurs für die Kinder begann um neun Uhr morgens. Vorher wurde gefrühstückt. Mit uns am Tisch saß das uns vom Hotel zugeordnete Ehepaar Klaus und Dagmar mit seinem achtjährigen Sohn Colin-Noel. Sie kamen aus Erkelenz, und sie kamen, um zu gewinnen. Das machte Klaus uns gleich klar. Sein Sohn sei der geborene Winner, ein Challenge-Seeker. Ein Mover. Schon im Kindergarten sei er der Opinion-Leader der Igelgruppe gewesen. Colin-Noel habe bereits Buchstabierwettbewerbe sowie das Blockflöten-Vorspielen bei der Musikschule erfolgreich absolviert, er zeige sich seit Jahren als unschlagbar im Sackhüpfen, und nun sei Skifahren dran, da könne man Demut lernen, es sei gut für die Koordination, der Schnee härte die Kinder

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