Berichte aus dem Christstollen
Anstatt wie in den ersten Jahren stundenlang «Kuschelrock-Christmas» zu dudeln, besorgte er sich drei anständige CD s, die unauffällig im Hintergrund liefen. Er richtete eine beheizte Raucher-Lounge auf der Terrasse ein und bot drei verschiedene Whiskys an. Und Gin Tonic, Bier, Rotwein. Es war eine Kampfansage an die Schenks.
Die legten nach, indem sie sich das Essen bringen und eine Schneebar bauen ließen und einen Barmann engagierten, der mit Shakern jonglieren konnte. Sie buchten zudem eine Jazzband, die bereits zwei Grammys gewonnen hatte.
Im Jahr danach waren die Schenks dann mehr zu Hause. Man erzählte sich, sie könnten sich die langen Reisen irgendwie nicht mehr leisten. Und in diesem Jahr nun stellten uns die Schenks und die Dattelmanns vor die Wahl. Beide Partys fanden am selben Abend am dritten Advent statt. Es war der Party-Showdown. Die Gastgeber-Paare wollten es wissen: Zu wem gehen die Nachbarn? Und wer würde am Ende auf der Gewinner-Party rumstehen, wer bei den ewigen Verlierern? Sara und ich schoben die Einladungen auf dem Küchentisch herum. Ich schlug vor, mich bei Dattelmanns zu opfern. Sara könnte dann zu den Schenks. Sie führte dagegen ins Feld, dass das wahrscheinlich sehr viele Paare machen würden. Und auf den beiden Partys säßen dann lauter halbierte Ehen herum.
Wir trafen am Ende eine sehr salomonische Entscheidung. Ab 19 Uhr waren wir bei Dattelmann, der die ganze Zeit in seinem Wohnzimmer stand und durchzählte, um zu rekapitulieren, wer nicht da war. Um 21 Uhr nahmen wir unsere Jacken, und ich verabschiedete mich mit der Ankündigung, jedes Jahr wieder gerne zu kommen und es sei ja doch bedeutend netter als bei den Schenks. Mit uns gingen noch weitere Gäste, die sich nun geschlossen auf den Weg zu Schenks machten. Auf der Straße trafen wir etwa ein Dutzend Nachbarn, die von dort gerade zu Dattelmanns liefen. Sie empfahlen uns die Maronensuppe und machten allesamt einen unglücklichen Eindruck.
Eine gute Stunde später hatten die Schenks und die Dattelmanns ihre Gäste komplett ausgetauscht. Wir unterhielten uns mit denselben Leuten wie vorher, nur in einem anderen Wohnzimmer. Das hat mir richtig gut gefallen. Ich bin mal gespannt, was die Schenks und die Dattelmanns sagen, wenn ich nächstes Jahr ins Rennen einsteige.
Tonis Budenzauber
Antonio Marcipane hat alles, was man in seinem Alter braucht: ein warmes Heim, eine Kaffeemaschine, eine Frau, um sie zu bedienen (also die Kaffeemaschine), sowie einen Schwiegersohn, den man in der Nacht vor der Wahl in Italien anrufen kann, um ihn darüber zu informieren, dass der weitgehend unbescholtene, wenn auch fraglos langweilige Mario Monti ein «Musone» sei, also eine beleidigte Leberwurst. Und dass nun vielleicht die «Mumie» zurückkehre. So nennen sie in Italien den früheren Ministerpräsidenten Berlusconi wegen seiner inzwischen maskenhaften Gesichtszüge.
Jedenfalls machten wir uns Gedanken darüber, was man meinem Schwiegervater noch zu Weihnachten schenken könnte. Vielleicht irgendwas für das Häuschen, das Antonio vor einiger Zeit gebaut hat. In seinem Garten. Dort legte er zunächst eine Art Schreberscholle an und züchtete allerhand Gemüse, und zwar nicht zu seinem Vergnügen, sondern um den bevorstehenden Versorgungsengpässen nach dem Zusammenbruch Europas von vornherein ein Schnippchen zu schlagen. Zuletzt zimmerte er eben eine windschiefe Hütte in den Garten, zu nahe an die Grundstücksgrenze übrigens. Als es kälter wurde, baute er einen Ofen ein und sägte ein Loch in die Wand, durch das er ein monströses Rohr schob. Wenn sein Ofen in Betrieb war und der Schornstein qualmte, sah es so aus, als würde die Bude jeden Augenblick davonfliegen.
Die Knusperhäuschen-Gemütlichkeit von Tonis Laube eröffnete uns ein völlig neues Spektrum von Geschenkescheußlichkeiten, für die Toni sehr empfänglich ist. Also telefonierten wir, und ich fragte ihn, ob er noch etwas für seine neue Hütte benötige. Antonio antwortete ohne jede Bedenkzeit: «So eine Kaminedinge.»
«Eine Kaminedinge? Antonio, was ist eine Kaminedinge?»
«So eine Dingeda furde Kamin, mit Besen und Schaufele und alle Drumundran.»
«Du meinst ein Kaminbesteck.»
«Sagido.»
Ich begann eine Recherche im Internet, dem Spiegel menschlicher Bedürfnisse und ihrer Befriedigung. Wenn man sich eine Stunde lang mit Kaminbesteck beschäftigt, beginnt man an der Evolution zu zweifeln. Vielleicht haben die Kreationisten doch recht: Das alles
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