Berlin 1961 - Kennedy, Chruschtschow und der gefährlichste Ort der Welt
zurück und erzählte, dass die Sowjetunion in der Nähe von Kursk unlängst riesige Eisenerzvorkommen gefunden habe, die auf 30 Milliarden Tonnen geschätzt würden. Tatsächlich seien die Gesamtvorkommen wahrscheinlich noch zehnmal höher. Dann erinnerte er Kennedy daran, dass die gesamten erkundeten Eisenvorkommen der Vereinigten Staaten mit fünf Milliarden Tonnen nur ein
Sechstel davon betragen würden. »Die sowjetischen Reserven werden den Bedarf der ganzen Welt auf geraume Zeit decken können«, fügte er hinzu.
In den ersten Minuten des Tages zwei von Wien hatte Chruschtschow einen von Kennedy angestrebten persönlichen Austausch über die familiären Hintergründe der beiden Gesprächspartner in eine Prahlerei über die überlegenen Rohstoffvorräte seines Landes umgewandelt. Er hatte nicht nach den Entwicklungsjahren des Präsidenten gefragt, über die er ohnehin gut genug informiert war. Ungeduldig schlug er vor, zum eigentlichen Zweck dieses Tages vorzudringen, nämlich zu Berlin und dessen Zukunft.
In ihrer an diesem Morgen erscheinenden Ausgabe hatte die Londoner Times die Besorgnis eines britischen Diplomaten über diesen Wiener Gipfel zitiert: »Hoffentlich kommt der Junge nicht allzu übel zugerichtet aus diesem Bärenkäfig heraus.« Tatsächlich hatte Chruschtschow bereits am Beginn dieses zweiten Tages seine Krallen gezeigt. Trotz der Fortschritte in der Laos-Frage, die ihre Delegationen über Nacht erreicht hatten, wollte er diese Angelegenheit nicht als ein Beispiel dafür herausstreichen, wie die beiden Seiten Spannungen abbauen könnten.
Der amerikanische und der sowjetische Außenminister sowie ihre Mitarbeiter hatten eine Übereinkunft über ein neutrales Laos erzielt. Dieses Zugeständnis konnte Chruschtschow politisch teuer zu stehen kommen, da es von den Chinesen, Nordvietnamesen und der laotischen kommunistischen Bewegung Pathet Lao abgelehnt werden würde. Anstatt jedoch diese Vereinbarung gegenüber Kennedy als Beweis seines guten Willens anzuführen, warf Chruschtschow den USA »Größenwahn« vor, weil sie »auch künftig irgendwelche Rechte auf die Einmischung in die Angelegenheiten anderer Länder« 8 in Asien geltend machen wollten.
Danach widersetzte sich der Sowjetführer allen Bemühungen Kennedys, in der Frage der Atomteststopps zu bindenden Vereinbarungen zu gelangen. Außerdem widersprach er der Ansicht des US-Präsidenten, dass erst eine allgemeine Verbesserung der gegenseitigen Beziehungen den Weg zu einer Lösung des Berlin-Problems öffnen würde. Für Chruschtschow hatte Berlin absoluten Vorrang.
In seinem Versuch, den Sowjetführer doch noch zu Fortschritten auf dem Gebiet der Atomtests zu bewegen, zitierte Kennedy sogar ein altes chinesisches Sprichwort: »Eine Reise von 1000 Meilen beginnt mit dem ersten Schritt.«
»Wie ich sehe, sind Sie ein Kenner Chinas«, kommentierte Chruschtschow.
»Wir werden wahrscheinlich beide China gut kennen lernen müssen«, antwortete Kennedy.
Chruschtschow lächelte. »Ich kenne China bereits jetzt schon gut«, sagte er dann. Dieser kleine Ausrutscher war für den Sowjetführer ungewöhnlich und eröffnete einen kurzen Blick auf seine gespannten Beziehungen zu Mao.
Als die Sowjets später jedoch das offizielle Gipfelprotokoll nach Peking schickten, reparierten sie diesen kleinen Fauxpas, indem sie einen verbindlichen Satz einflickten: »China ist unser Nachbar, unser Freund und unser Verbündeter. « 9
Der wichtigste Teil des gesamten Gipfelgesprächs begann mit einer Warnung Chruschtschows. Der Sowjetführer leitete eine längere Darlegung der »Position der Sowjetregierung« mit der Bemerkung ein, Moskau habe jetzt lange genug auf eine Berlin-Regelung gewartet. »Das ist eine Frage, die im wesentlichen Maße die Entwicklungsrichtung zwischen unseren Staaten bestimmt. Wenn Sie unsere Bestrebungen falsch verstehen, so kann das zu einer Verschärfung unserer Beziehungen führen.«
Sofort beugten sich die Berater der beiden Männer aufmerksam nach vorne. Sie wussten, dass alles Bisherige nur ein Vorspiel für diesen Augenblick gewesen war. »Seit Beendigung des Kriegs sind schon mehr als sechzehn Jahre vergangen«, sagte Chruschtschow. »Die Sowjetunion hat in diesem Krieg riesige Verluste erlitten: Wir haben über 20 Millionen Menschen verloren; große Gebiete unseres Landes wurden zerstört; und jetzt sammeln die Deutschen, die zweimal in der Geschichte der Menschheit einen Weltkrieg entfachten, erneut Kräfte, und die
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