Berlin 1961 - Kennedy, Chruschtschow und der gefährlichste Ort der Welt
[militärischen] Kräfte besteht«. Deshalb sei es »schwer zu verstehen«, warum ein Land wie die Sowjetunion, die so »gewaltige Erfolge« in der Raumfahrt und der Wirtschaft »errungen« habe, vorschlagen könne, dass die Vereinigten Staaten einen so entscheidenden Ort für ihre weltweite Stellung einfach so verlassen würden. Die Vereinigten Staaten würden niemals Rechte aufgeben, die sie »im Krieg erkämpft« hätten.
Chruschtschow bekam einen roten Kopf, als ob dieser ein Thermometer wäre, das seine steigende Innentemperatur anzeigte. Er unterbrach den amerikanischen Präsidenten und wollte von ihm wissen, ob dies bedeute, dass er keinen Friedensvertrag unterzeichnen wolle. Kennedys Bemerkung über die amerikanische nationale Sicherheit konterte er mit der sarkastischen Frage: »Vielleicht wollen Sie [mit Ihren Truppen] auch nach Moskau kommen? Das würde doch auch die Interessen der USA außerordentlich fördern.«
Kennedy hielt dagegen: »Wir reden nicht darüber, ob die Vereinigten Staaten in Moskau einmarschieren oder die UdSSR in New York. Wir reden darüber, dass wir bereits seit sechzehn Jahren in Berlin sind – und unser Vorschlag ist, dass wir dort auch bleiben.« 12
Danach versuchte er, Chruschtschow entgegenzukommen, indem er eine Argumentationslinie wieder aufgriff, die er bereits am Vortag ohne Erfolg eingeschlagen hatte: Er wisse sehr wohl, dass die Situation in Deutschland und Westberlin »anomal« sei. Aber angesichts der gespannten Lage in der Welt sei »jetzt einfach nicht die Zeit, um die Lage in Berlin zu ändern. […] Wird dieses Gleichgewicht geändert, dann wird sich das negativ auf unsere Positionen in Westeuropa auswirken und ein Schlag gegen die Interessen der USA sein«, sagte er, um dann Chruschtschow direkt anzusprechen: »Sie, Herr Vorsitzender,
würden doch einem solchen Schlag gegen Ihre Interessen auch nicht zustimmen, und wir können das ebenso wenig akzeptieren.«
Bis zu diesem Zeitpunkt hatte Chruschtschow sein übliches aufbrausendes Benehmen weitgehend im Zaum gehalten. Nun war aber kein Halten mehr. Er fuchtelte mit den Armen, sein Gesicht färbte sich puterrot, und seine Stimme wurde immer schriller, während seine stakkatoartigen Wortkaskaden sich wie wütendes Maschinengewehrfeuer anhörten. »Die USA sind nicht bereit, die Lage am gefährlichsten Ort der Welt zu normalisieren«, schäumte er. »Die UdSSR will einen chirurgischen Eingriff an diesem schlimmen Ort vornehmen – um diesen Dorn, dieses Krebsgeschwür zu beseitigen –, ohne die Interessen einer Seite zu beeinträchtigen, sondern zur Zufriedenheit aller Völker der Welt.«
Die Sowjetunion wolle die Berlin-Frage doch nicht »durch irgendwelche Intrigen oder Drohungen lösen, sondern durch die Unterzeichnung eines Friedensvertrags mit den Teilnehmerländern der Anti-Hitler-Koalition. Sie aber sagen, das widerspreche den Interessen der USA. Ich kann das einfach nicht verstehen, Herr Präsident.« Die Sowjetunion schlage doch nicht vor, »die bestehenden Grenzen zu revidieren«. Stattdessen wolle sie diese durch einen Friedensvertrag »gesetzlich verankern«. Dies würde »jenen aggressiven Kräften den Weg versperren, die die Menschheit in einen neuen Krieg stürzen möchten«.
Chruschtschow spielte dann auf Adenauer und die bundesdeutsche Regierung an, als er von »Revanchisten« sprach, »die jetzt mit Appellen zur Änderung der Grenzen auftreten« würden. »Hitler sprach seinerzeit davon, dass er ›Lebensraum‹ – möglichst bis zum Ural – brauche. Jetzt aber haben die Generäle, die die Hitler-Armee befehligten, fast alle Kommandopositionen in der NATO besetzt.«
Warum die Vereinigten Staaten meinten, ihre Interessen in Berlin schützen zu müssen, sei ihm unverständlich. Dann erklärte er Kennedy, so leid es ihm tue, es gebe keine »Macht, die uns von der Unterzeichnung eines Friedensvertrags mit Deutschland abhalten könnte«.
Er wiederholte noch einmal, dass seit dem Krieg bereits sechzehn Jahre vergangen seien. Wie lange wolle Kennedy Moskau noch warten lassen? Noch weitere sechzehn Jahre? Oder vielleicht sogar weitere dreißig Jahre?
Chruschtschow deutete dann auf die Mitglieder seiner Delegation und meinte, sein Sohn sei an der Front gestorben, Gromyko dort drüben habe zwei Brüder und Mikojan einen Sohn verloren. »Es gibt in unserem Land keine einzige Familie, die während des Kriegs keinen ihrer Angehörigen verloren
hat.« Natürlich würden amerikanische Mütter ihre Söhne
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