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Berlin Alexanderplatz: Die Geschichte von Franz Biberkopf (German Edition)

Berlin Alexanderplatz: Die Geschichte von Franz Biberkopf (German Edition)

Titel: Berlin Alexanderplatz: Die Geschichte von Franz Biberkopf (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alfred Döblin
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Westpreußen und so weiter, verfehlte Existenz, son Mann und die Schande und so weiter, hab ich mir hier einen Ritz beigebracht, hier am linken Arm, was wie ein Selbstmordversuch aussieht. Man soll nie versäumen, etwas zu lernen, Georg; ich konnte sogar Provenzalisch, aber Anatomie –. Ich hielt die Sehne für den Puls. Besser orientiert bin ich heute noch nicht, aber kommt nicht mehr in Frage. Kurz: der Schmerz, die Reue war Unsinn, ich blieb leben, die Frau blieb auch leben, das Kind auch, es stellten sich sogar bei ihr noch mehr Kinder ein, in Westpreußen, Stücker zwo, ich wirkte auf Entfernung; wir leben alle. Der Rosenthaler Platz erfreut mich, der Schupo an der Elsasser Ecke erfreut mich, das Billard erfreut mich. Komm mal einer und sage, sein Leben ist besser und ich versteh nichts von Frauen.«
    Der Blonde betrachtet ihn mit Widerwillen: »Sie sind ja eine Ruine, Krause, das wissen Sie doch selbst. Was sind Sie für ein Beispiel. Sie stellen sich mir vor in Ihrem Pech, Krause. Haben mir doch selbst erzählt, wie Sie hungern müssen bei Ihren Privatstunden. Ich möchte nicht so begraben sein.« Der Graue hat sein Glas ausgetrunken, er legt sich mit der Pelerine in den eisernen Stuhl zurück, blinzelt einen Moment den Jungen feindlich an, dann prustet er, lacht krampfhaft: »Nee, kein Beispiel, da haben Sie recht. Hab ich nie beansprucht. Bin für Sie kein Beispiel. Die Fliege, kuck an, Gesichtspunkte. Die Fliege setzt sich unter das Mikroskop und kommt sich als ein Pferd vor. Die Fliege soll mal vor mein Fernrohr kommen. Wer sind Sie, Herr, Herr Georg? Stellen Sie sich mir einmal vor: Herr Stadtvertreter der Firma XY, Abteilung Schuhwaren. Nee, lassen Sie die Witze. Mir von Ihrem Kummer zu erzählen, Kummer: buchstabiere K wie Kalbskopf, U wie Unfug, grober Unfug, gröbster, ja, M wie Mumpitz. Und Sie sind falsch verbunden, falsch verbunden, mein Herr, total falsch verbunden.«

    Ein junges Mädchen steigt aus der 99, Mariendorf, Lichtenrader Chaussee, Tempelhof, Hallesches Tor, Hedwigskirche, Rosenthaler Platz, Badstraße, Seestraße Ecke Togostraße, in den Nächten von Sonnabend zu Sonntag ununterbrochener Betrieb zwischen Uferstraße und Tempelhof, Friedrich-Karl-Straße, in Abständen von 15 Minuten. Es ist 8 Uhr abends, sie hat eine Notenmappe unter dem Arm, den Krimmerkragen hat sie hoch ins Gesicht geschlagen, die Ecke Brunnenstraße-Weinbergsweg wandert sie hin und her. Ein Mann im Pelz spricht sie an, sie fährt zusammen, geht rasch auf die andere Seite. Sie steht unter der hohen Laterne, beobachtet die Ecke drüben. Ein älterer kleiner Herr mit Hornbrille erscheint drüben, sie ist sofort bei ihm. Sie geht kichernd neben ihm. Sie ziehen die Brunnenstraße rauf.
    »Ich darf heut nicht so spät nach Hause, wirklich, nein. Ich hätte eigentlich gar nicht kommen sollen. Aber ich darf doch nicht anklingeln.« »Nein, nur ausnahmsweise, wenns sein muß. Man hört zu im Büro. Es ist deinetwegen, Kind.« »Ja, ich fürcht mich, es kommt doch nicht raus, Sie sagen es bestimmt niemand.« »Bestimmt.« »Papa, wenn der was hört, und Mama, o Gott.« Der ältere Herr hält sie vergnügt am Arm. »Kommt nichts raus. Ich sag keinem Menschen ein Wort. Hast du in der Stunde schön gelernt?« »Chopin. Ich spiel die Nokturnos. Sind Sie musikalisch?« »Doch, wenns sein muß.« »Ich möchte Ihnen mal vorspielen, wenn ich kann. Aber ich habe Angst vor Ihnen.« »Na aber.« »Ja, ich hab immer Angst vor Ihnen, ein bißchen, nicht sehr. Nein, sehr nicht. Aber ich brauch doch keine Angst vor Ihnen zu haben.« »Keine Spur. Aber so was. Du kennst mich doch schon drei Monate.« »Ich hab auch eigentlich nur vor Papa Angst. Wenn es rauskommt.« »Mädel, du wirst doch schon mal abends ein paar Schritt allein gehen können. Du bist doch kein Baby mehr.« »Hab ich Mama schon immer gesagt. Und ich geh auch aus.« »Wir gehen, Tuntchen, wos uns paßt.« »Sagen Sie nicht Tuntchen zu mir. Das habe ich Ihnen nur gesagt, damit – so nebenbei. Wo laufen wir denn heute hin. Ich muß um neun zu Hause sein.« »Hier oben. Sind schon da. Wohnt ein Freund von mir. Wir können ungeniert rauf.« »Ich fürcht mich. Sieht uns auch keiner? Gehen Sie vor. Ich komm allein nach.«
    Oben lächeln sie sich an. Sie steht in der Ecke. Er hat Mantel und Hut abgelegt, sie läßt sich von ihm Notenmappe und Hut abnehmen. Dann läuft sie zur Tür, knipst das Licht aus: »Aber heut nicht lange, ich hab so wenig Zeit, ich muß nach Hause, ich

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