Berlin Fidschitown (German Edition)
– bis ihr ein Zuhälter aus kurzer Distanz zweimal in den Kopf geschossen hatte. Sie selbst war nicht rechtzeitig zur Stelle gewesen und machte es sich immer noch zum Vorwurf. Zwar hatte sie dem Luden noch mit einem Schuss den rechten Oberschenkel zerschmettert und ihm in die Eier getreten, bevor Zeugen auftauchten, aber das war auch noch heute nur ein schwacher Trost. Im entscheidenden Moment hatte sie Franziska nicht zur Seite gestanden. Sie hatte versagt, als es darauf ankam. Und eine wie Franziska fehlte ihr jetzt, bei diesem elenden Alleingang in ein ungewisses Ende.
Sie holte das Fläschchen aus der Jackentasche und nahm ein paar Rescue-Tropfen. Dann las sie zum wiederholten Mal die kunstvoll geschriebenen Zeilen, die sachlich, aber ein wenig beschönigend über die Todesursache informierten. Natürlich stand da Pflichterfüllung . Das Wort durfte auf keinen Fall fehlen. Sie inspizierte das Blumengebinde neben dem Pult und betrachtete den Schriftzug an der Wand.
SIE GABEN IHR LEBEN IM DIENST FÜR DEN MIT-BÜRGER.
Links daneben der Bundesadler, rechts der Berliner Bär.
Romy Asbachs Blick fiel erneut auf die Blumen, und ihr schlechtes Gewissen regte sich. Sie würde welche zum Friedhof bringen, sobald sich Zeit fand.
Der Friedhof.
Die Beerdigung.
Auch so ein bitterkalter Tag. Die Totengräber mussten die Grube mit Hilfe eines Presslufthammers ausheben, um gegen das beinharte Erdreich anzukommen. Ein Trommelwirbel erklang, als sie mit fünf Kollegen den Sarg schulterte und aus der Friedhofskapelle trug. Die Uniformierten des Musikkorps marschierten dem Trauerzug voraus. Die Angehörigen hatten auf einem offiziellen Begräbnis bestanden.
Bevor der Sarg in die Grube hinabgelassen wurde, hielt der Direktor des Landeskriminalamtes eine Rede. „Franziska Winter gab ihr Leben im Dienst für die Mitbürgerinnen und Mitbürger ...“ Sie war dem kleinen Mann im dunklen Anzug dankbar, die Aufgabe übernommen zu haben. Man hatte sie gebeten, es zu tun. Sie hatte abgelehnt. Auch letzte Worte konnten ausgebliebene Taten nicht mehr ersetzen, und es war besser, den Mund zu halten. Während der Rede spürte sie den Blick des Polizeidirektors. Sie sah ihn an, und er schaute weg. Er war in Uniform gekommen, und seine goldenen Sterne glänzten matt im schwarzen Meer der Trauer.
Als sie den Sarg langsam absenkten, spielte die Kapelle „Ich hatte einen Kameraden“. Als letzte Tat warf sie noch eine Schaufel Erde auf Franziskas Sarg und spürte dabei ein Ziehen im rechten Zeigefinger.
Sie schüttelte sich. Es war alles nur eine Frage des Druckpunkts. Sie verspürte das erneute Verlangen nach Rettungstropfen, drehte der Gedenkstätte den Rücken zu und machte sich auf den Weg. Die Zeit drängte. Die Tage um Weihnachten und den Jahreswechsel waren nur eine Galgenfrist. Spätestens Anfang Februar nahm der Untersuchungsausschuss seine Sitzungen wieder auf.
Es blieben ihr nur noch wenige Wochen, um etwas für sich zu tun.
9
„Ich bin Hakka-Chinese und thailändischer Staatsbürger, Tony.“ Yang lächelte. „Ich darf Sie doch so nennen?“
Rojana widersprach nicht. Er kannte die Art Lächeln nur zu gut. Wenn einer wie James Yang Zähne zeigte, war das kein Hongkong-Blitz aus Edelmetall und Diamanten, sondern ein mattes Glänzen. Wie Elfenbein. Siamesisch, aber eben doch eine Spur härter als bei einem hundertprozentigen Thai. Die lächelten mit einer Herzlichkeit, die pure Selbstverteidigung war. Nicht zu lächeln hieß, jemanden ernst ansehen, und das war gefährlich nahe am bösen Blick. Also war Vorsorge geboten, wenn man Missverständnisse und Konflikte vermeiden wollte. Chinesen hingegen wollten nicht unbedingt jeden Konflikt vermeiden. Selbst das Babyhaifischlächeln, das Thais an der Schwelle zum Affektmord zustandebrachten, konnte nicht mit der Zehn-Milliarden-Baht-Version mithalten, die James Yang durchs Gesicht zuckte. Rojana hatte so seine Theorien über das Lächeln – und was ihn selbst anging, war er dem Erbe seines US-Latino-Vaters verpflichtet: Er grinste.
„Rund ein Viertel der Chinesen in Bangkok sind Hakka“, sagte Yang.
Rojana kannte seine Chinesen. Die größte Gruppierung, gut die Hälfte, sprach Tae-chiew, der Rest Kantonesisch, Hinan und andere Dialekte.
Yang forderte die Bedienung mit dem endlos langen Schlitz im Kleid auf, Khun Tony grünen Tee nachzugießen, damit er die Happen, die sie mit Stäbchen aus den Bastkörbchen hoben, besser runterbekam.
Was Khun James als Imbiss servieren
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