Berlin Gothic: Thriller
wandert weiter, den Boden ableuchtend. Der Tod der Frau hat ihn mitgenommen. Er weiß nicht, wonach er sucht. Er weiß nur, dass er die Baugrube, in der sie sie gefunden haben, noch nicht verlassen will.
Er erreicht eine Bodenwanne, die bereits gegossen worden ist. In regelmäßigen Abständen ragen Betonpfeiler davon auf, an deren Ende die Stahlstreben wie Knochenfinger dünn und krumm in den Nachthimmel stoßen. Butz lässt den Lichtstrahl über den Zement wandern und bemerkt, dass der Rand der Wanne erst einen knappen Meter weit in die Höhe gezogen worden ist. Dahinter kann er die Böschung erkennen, die gute acht Meter über ihm das Straßenniveau erreicht.
Butz beschließt, in einem weiten Bogen zurück zu den anderen zu kehren, die als kleine Gestalten unter dem gleißenden Licht des Halogenscheinwerfers hinter den Pfeilern zu sehen sind, und beginnt, am Wannenrand entlangzuschreiten. Der Regen hat den Sand der Böschung zum Teil heftig unterspült. Vereinzelt rieseln noch immer kleine Bäche den Abhang hinab.
Butz verlangsamt seine Schritte und wendet sich um. Tastet mit dem Lichtstrahl unschlüssig über den Sand. Da!
Er hält den Strahl der Lampe auf einen schwarzen Schatten gerichtet, der ihm auf halber Höhe der Böschung aufgefallen ist.
Was ist das?
Er lässt die Lampe in die Seitentasche seines Jacketts gleiten, legt beide Hände auf den oberen Rand der Betonwanne - und stößt sich ab. Die poröse Oberfläche des Zements schneidet in seine Handflächen, dann bekommt sein Fuß auf der Oberkante Halt - er kniet - steht.
Vorsichtig holt er die Lampe wieder aus seiner Jacketttasche hervor, schaltet sie ein und leuchtet in den Schatten hinein, der sich jetzt keine drei Meter mehr über ihm in die Sandböschung zu bohren scheint.
Butz reckt den Arm mit der Lampe in die Höhe - dann sieht er es. Ein feines Rinnsal schießt aus dem Schatten hervor. Das Wasser kommt direkt aus der Böschung - aus einem Stollen, der dort waagerecht ins Erdreich getrieben worden ist.
8
„Der muss durch den Regen freigelegt worden sein!“ Der Bauleiter ist ein schwerer, großgewachsener Mann Mitte Fünfzig, Butz kommt sich regelrecht schmächtig neben ihm vor. „Den Tunnel hab ich noch nie gesehen!“ Der Bauleiter schüttelt den Kopf. „Der ist auch in den Plänen nicht eingetragen.“
Der Lichtkegel der Taschenlampe tanzt über den Bogen, den Butz und der Bauleiter gemeinsam vor sich her halten. Hin und wieder landet ein verspäteter Regentropfen auf dem Papier. „Hier sind die angrenzenden Gebäude verzeichnet.“ Der Bauleiter deutet mit seinem dicken Zeigefinger auf den Grundriss. „Möglicherweise gehört der Stollen zur Kanalisation?“ Er sieht Butz an.
Der runzelt die Stirn.
„Meinen Sie, es hat etwas mit der Toten zu tun?“ Der Bauleiter nimmt ihm den Plan aus der Hand. Er ist erst vor wenigen Minuten auf der Baustelle eingetroffen, nachdem er von den Beamten über sein Handy kontaktiert worden ist.
Butz schaut zu dem Stollen hinauf. „Leuchten Sie mir doch mal bitte.“ Er stemmt sich erneut auf den Rand der Bodenwanne.
„Was denn?“ Der Bauleiter richtet den Strahl der Lampe genau auf Butz’ Gesicht. „Wollen Sie jetzt hier rumklettern? Mitten in der Nacht?“
„Nur mal gucken.“
„Sie sehen doch, der Regen hat alles unterspült.“ Die tiefe Stimme des Bauarbeiters scheppert. „Außerdem können Sie in der Dunkelheit doch sowieso nichts erkennen! Kommen Sie da runter, Mann, was soll denn das!“
Butz springt und landet weich in dem locker aufgeschütteten Sand der Böschung - auf der anderen Seite der kleinen Betonwand.
„ … das ist meine verdammte Verantwortung hier“, hört er den Bauleiter schimpfen, der in der Bodenwanne stehen geblieben ist.
„Regen Sie sich ab, ist es natürlich nicht.“ Butz spürt, wie seine Hände in den feuchten Sand sinken, während er beginnt, die Böschung nach oben zu kraxeln. ‚Wenigstens leuchtet er.’ Der Schein der Taschenlampe gleitet an Butz vorbei über den Sand, bleibt auf der Tunnelöffnung stehen, die sich jetzt direkt über seinem Kopf befindet.
Butz richtet sich auf, sieht in die Öffnung hinein. Für einen Moment hat er den Eindruck, als würde es kühl aus dem Stollen herauswehen.
„Können Sie was sehen?“
Butz dreht sich um. Knapp drei Meter unter ihm steht der Bauleiter in der Bodenwanne und blickt nach oben.
„Noch nicht.“
Butz angelt die Lampe des Schutzpolizisten aus der Seitentasche seines Jacketts,
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