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Berlin Gothic: Thriller

Berlin Gothic: Thriller

Titel: Berlin Gothic: Thriller Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonas Winner
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nur eingebildet hatte. Aber je verzweifelter er darauf drängte, sich sozusagen selbst aus seinen Händen wieder zurückzuziehen, je energischer er darauf aus war, sich selbst überraschen zu können mit den sagenhaften Ergebnissen, die er erzielte - desto dissonanter klang, was er zustande brachte.
    „Spiel über es hinweg, gib dem, was noch in der Luft hängt, eine ganz neue, unerwartete Bedeutung, indem du Klänge folgen lässt, die ihm nachträglich erst den wahren Sinn einimpfen!“, beschwor er sich, hieb weiter auf die Tasten ein, fieberhaft nach einem Ausweg aus dieser Sackgasse der Hässlichkeit suchend, in die er sich mit jedem Misston, den er anschlug, desto tiefer hineinmanövrierte, und immer unumkehrbarer den Mut verlierend, von dem er doch nur zu gut wusste, wie sehr er ihn brauchte, um die selbstgestellte Aufgabe zu bewältigen - zugleich aber immer verbissener darauf beharrend, dass er sich schon nicht unterkriegen lassen würde. Bis er plötzlich bemerkte, dass er nicht mehr nur mit den Fingern über die Tasten sprang, sondern mit den Händen geradezu auf sie einschlug, dass er inzwischen sogar die Ellbogen dafür benutzte, dass seine Unterarme und Handgelenke schmerzten und das Holz unter seinen Schlägen ächzte. Dass aus seinem Spiel längst so etwas wie eine Schlacht geworden war - ein Kampf, ein Krampf, ein Sturz.
    Hinter ihm knallte es.
    „Spiel doch endlich mal was richtig Lautes!“, hörte er eine Mädchenstimme schreien - und fuhr herum.
    In der Türfüllung stand Lisa. Sie hatte die Tür so heftig aufgestoßen, dass das Holz gegen die Wand geschlagen war.
    „Was? Schon fertig? Du hattest doch gerade erst Fahrt aufgenommen!“ Sie funkelte ihn an.
    Tick tick tick tick tick tick tick …
    Max warf einen Blick auf die Eieruhr. Noch 31 Minuten. Immerhin, sieben Minuten hatte er überwunden.
    Lisa schnaufte. „Sag Papa doch einfach, dass du mit Klavierspielen aufhören willst!“
    „Das erlaubt er nie.“ Max war von der Anstrengung noch ein wenig außer Atem.
    Lisa trat auf ihn zu, nahm seine Hände, drehte sie um und besah sich die Unterarme, über die die Ärmel seines Hemdes zurückgekrempelt waren. Die Haut war von den Schlägen auf die Tasten gerötet.
    „Natürlich erlaubt er es“, sagte sie und ließ seine Arme los, „du musst es ihm nur richtig sagen.“
    „Kannst du es ihm nicht sagen?“
    „Nö.“
    Ihre Antwort überraschte Max nicht. Sein Oberkörper sackte nach vorn und mit gekrümmten Rücken blieb er auf dem Klavierhocker sitzen. In seinem Kopf aber erklangen die Töne, mit denen er sein Spiel eben begonnen hatte, noch einmal. Und diesmal, als er sie sich nur vorstellte und nicht wirklich anschlug, gelang es ihm, die Töne auch an dem Punkt richtig fortzuentwickeln, an dem er vorhin falsch abgebogen war. Diesmal schwangen sie sich - statt sich in einen immer unangenehmeren Krach zu verlieren - zu einem Crescendo aus Effekten und Überraschungen auf, das geradewegs bis an die Zimmerdecke – und noch darüberhinaus zu führen schien.
    Max blickte auf, wollte seiner Schwester schon zurufen, dass er mit dem Improvisieren vielleicht doch endlich einen Weg gefunden habe, das Klavierspiel in den Griff zu bekommen - aber das Zimmer um ihn herum war bereits wieder leer.
    Lisa hatte ihn allein gelassen.
     
     
     
     


     
    Eine Veranda mit mächtigen Säulen, Bäume mit weit ausladenden Ästen, eine Freitreppe, die in grandiosem Bogen auf das Dach eines durchfensterten Vorbaus führte.
    Als Frau Bentheim mit dem Wagen in das schattige Grundstück einbog, auf dem sich die weiße Villa der Bentheims erhob, musste Till unwillkürlich an die Herrenhäuser der Plantagenbesitzer im amerikanischen Süden denken. Die kannte er zwar nur aus dem Fernsehen, hatte sie aber immer geliebt. Die schattige und zugleich schwüle Atmosphäre, in der man glaubte, entfernt Alligatoren brüllen zu hören - während in den oberen Stockwerken der prächtigen Häuser schöne Frauen unter riesigen Ventilatoren Intrigen ausheckten, mit denen sie ihren stiernackigen Gatten gegen den Mann ausspielen wollten, der hinterm Haus gerade unter einem Oldtimer lag und den Motor ausbaute.
    Frau Bentheim brachte den Jaguar in der Auffahrt zum Stehen. Neugierig die Details des Gebäudes und des Vorgartens in sich aufsaugend, wanderte Till neben ihr vom Wagen zur Eingangstür, durch die die beiden Mädchen von der Rückbank bereits verschwunden waren. Korbstühle und ein verziertes Sofa mit verschlissenem

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