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Berliner Zimmer - Roman

Berliner Zimmer - Roman

Titel: Berliner Zimmer - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Haymon
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Gründungsmitglied und der Vater ihres Wirtschaftsassessors gestorben war.
    „Kommst du“, sagte Gregor.
    „Aber wie ist das möglich“, antwortete ich, „er war doch noch okay.“
    „Wen meinst du“, sagte Gregor.
    „Na, Vater“, antwortete ich, „wen denn sonst.“
    „Ich kann jetzt nicht“, sagte Gregor. „Melde dich, wenn du da bist.“
    Der Kellner brachte meinen Kaffee und Almas Orangensaft. Ich erschrak bei dem Gedanken, hinter Vaters Sarg hergehen zu müssen und all die Hände von Gregors Parteifreunden schütteln zu müssen.
    „Er muss doch seine Therapie zu Ende machen“, sagte murmelte ich vor mich hin.
    Alma zuckte mit den Schultern und legte ihre Hand auf meine. Sie war blass im Gesicht.
    Als wir die Auffahrt zu Gregors Haus hinauffuhren, kam uns sein silbergrauer Volvo entgegen. Ich hielt an, als wir auf gleicher Höhe waren, aber Gregor verlangsamte nur sein Tempo und gestikulierte, ohne das Wagenfenster zu öffnen. Ich verstand, dass er es eilig hatte und bald zurück sei, und nickte ihm zu.
    Angelina stand in der Tür und umarmte mich und Alma. In ihrem schwarzen Kostüm und den schwarzen Strümpfen sah sie aus wie eine trauernde Witwe. Ich fühlte mich in meinem Pullover vollkommen unpassend gekleidet, aber ich hatte ja bloß Vater von seiner Bestrahlung abholen wollen.
    „Du kannst eines von Gregors Sakkos anziehen“, sagte Angelina, aber das wollte ich auch nicht.
    Ich fragte meine Schwägerin, wohin ihr Mann unterwegs sei.
    „Frag mich nicht“, sagte Angelina mit grimmiger Miene, „du weißt ja.“
    Es blieb also uns, die notwendigen Formalitäten zu erledigen und einen Sarg für meinen toten Vater auszusuchen. Der Angestellte des Bestattungsinstitutes kam pünktlich um eins und wir setzten uns auf die Terrasse. Er legte uns einen Katalog vor mit verschiedenen Sargmodellen, ich wollte gleich den ersten nehmen, den ich sah, aber Alma bestand darauf, dass wir den ganzen Katalog bis zum Ende durchblätterten und uns erst dann entschieden. Auf Anraten des Angestellten nahmen wir schließlich einen ökologischen Sarg, wie er ihn nannte, aus unbehandeltem Eichenholz samt eingeschnitztem Palmzweig und Beschlägen aus Gusseisen.
    Während ich im Schlafzimmer war, um Gregors Sakkos zu probieren, wählten Alma und Angelina aus dem Angebotskatalog die passenden Passagen für die Zeitungsannonce und besprachen den Ablauf der Beisetzung. Den Tag dafür hatte bereits Gregor gemeinsam mit dem Parteivorsitzenden festgelegt, es sollte der Samstag sein.
    Im Schrank, der die ganze Breitseite des Schlafzimmers einnahm, hingen mindestens zwanzig Anzüge nebeneinander. Sie waren der Tönung nach geordnet, von tiefschwarz bis beige, und ich wusste nicht, ob das Gregors oder Angelinas Werk war. Vielleicht hatten sie auch eine Putzfrau, die auf diese Weise ihren Ordnungswahn auslebte. Ich legte meinen alten Pullover auf die zerwühlte Hälfte des Doppelbetts, wo auch andere Wäsche herumlag, ein helles Unterhemd, ein seidenglänzender Slip und ein Büstenhalter. Angelina hatte sich wohl auch in aller Eile umgezogen.
    Als alle Fragen geklärt waren, blieben wir auf der Terrasse sitzen. Angelina rauchte eine Zigarette und wir sahen zu, wie der Bestatter in der Einfahrt umständlich seinen Wagen wendete. Es war sinnlos gewesen, mir ein dunkles Sakko auszusuchen, schließlich saßen wir nur hier herum, und auch Angelina wirkte eigenartig deplaziert im schwarzen Kostüm auf der eigenen Terrasse. Sie spielte mit der Zigarettenpackung, die vor ihr auf dem Tisch lag, klopfte eine Zigarette nach der anderen auf der Tischplatte ab und steckte sie wieder in die Packung zurück und ich fragte mich, ob sie traurig war.
    Eigentlich hätten wir jetzt Vater im Krankenhaus abgeholt, vielleicht gerade in diesem Augenblick, und er hätte mir jemanden vorgestellt, wie er mir angekündigt hatte, aber sein Tod hatte alles verdreht. Ich blätterte in den Bestätigungsformularen des Bestattungsunternehmens, aber auch dort stand nirgends, wie es jetzt weiterging.
    „Wir müssen es endlich Oma sagen“, rief Alma plötzlich.
    „Wie? Sie weiß noch nichts davon?“ Ich war aufgesprungen und starrte Angelina an. Sie zog an ihrer Zigarette und suchte nach Worten.
    „Nein“, sagte sie dann, „er kann das nicht. Das musst du verstehen.“
    „Er kann das nicht“, wiederholte ich aufgebracht und spöttisch Angelinas Worte.
    Sie schüttelte verneinend den Kopf und zupfte mit beiden Händen am Saum ihres Rockes. Es sah aus, als

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