Berndorf 07 - Trotzkis Narr
zerbrochen, und man hat sie wieder zusammengesetzt und an den Bruchstellen mit Eisenklammern verbunden. Verstehen Sie doch, diese Ausstellung zeigt uns eine Kultur, in der nichts weggeworfen wird. Sehen Sie diese Kalebasse …« Sie beugt sich über den Schreibtisch und zeigt auf eine andere Fotografie. »Die war in ich weiß nicht wie viele Stücke zersprungen, ist aber mit unendlich vielen Tonkügelchen wieder zusammengeklebt worden, und die Kügelchen ergeben dieses besondere Muster. Diese Kalebasse erzählt eine Geschichte, eine Geschichte von Gebrauch, von Armut und Mühsal, von Ungeschick und zugleich der Geschicklichkeit menschlicher Hände, alle diese beschädigten und irgendwie reparierten Gegenstände aus dieser Ausstellung tun das.«
»Und da haben Sie nun gleich einen ganzen Essay daraus gemacht«, Pfauth legt den Kopf mit dem kurzgeschorenen weißen Haar ein wenig zur Seite, was ihm das Aussehen eines früh vergreisten, misstrauischen Vogels gibt, »einen Essay über zweihundertfünfzig Druckzeilen mindestens, wenn ich das so überschlägig kalkulieren darf, zwei – hundert – fünfzig, Madame!«
Karen, die Pfauth bisher mit übergeschlagenen Beinen gegenübersaß, stellt beide Füße auf den Boden und macht sich bereit. Wenn Pfauth sie Madame nennt, zieht Krieg auf.
»Ich weiß, dass Ihnen das nicht gefallen wird«, fährt Pfauth fort, »aber in der nächsten Ausgabe habe ich dafür keinen Platz, absolut keinen!« Er beugt sich vor, mit fragendem Blick. »Wissen Sie eigentlich, in welcher Zeit wir leben? Sie singen da das Hohe Lied vom Einfachen Leben und von der Nachhaltigkeit – aber ist das nicht ein bisschen dick aufgetragen? Glauben Sie denn, Madame, wir kommen hier in dieser Stadt auch nur einen kleinen zivilisatorischen Schritt weiter, wenn die Leute ihre leergefressenen Raviolidosen als Geschirr nehmen?«
Karen beugt sich schweigend über den Tisch und will ihr Manuskript und die Fotoabzüge einsammeln.
»Ach, Madamchen, nun seien Sie doch nicht gleich eingeschnappt!«, ruft Pfauth. »Die Ausstellung läuft doch noch mindestens acht Wochen? Vielleicht haben wir in der übernächsten Ausgabe Platz, auch wenn ich Ihnen nicht versprechen kann, dass es für zweihundertfünfzig Zeilen reicht. Wir werden sehen. Ach, noch was: Damit Sie kein so enttäuschtes Gesicht machen, hätte ich einen Auftrag für Sie: Schreiben Sie doch mal was über diesen neuen Modetrend, den Dresscode Landhaus, das ist hier in Berlin der dernier cri .«
»Bitte was?«
»Dresscode Landhaus, ja doch. Die Dame trägt Dirndl, am besten mit sehr weit ausgeschnittenem Dekolleté, der Herr Trachtenjanker und Lederhosen, am besten knielang und aus Hirschleder.«
»Hier in Berlin? Und jodelt man dazu?«
»Sie sind nicht auf dem Laufenden, Madame«, tadelt Pfauth, »sehen Sie sich doch nur um, wie man heutzutage wohnt – ach was! – wohnen muss, wenn man dazugehören will, Walmdach, Balkongeländer aus Zirbelholz geschnitzt, griechischer Säulenportikus und maurische Rundbögen, ganz Landhaus eben wie in Kitzbühel, als residiere man gleich neben Kaiser Franz. Dazu muss man sich dann auch passend anziehen. Gehen Sie, Madame, sehen Sie sich um, sprechen Sie mit ein paar der neuen Modeateliers, welches Dirndl-Dekolleté für welche Körbchengröße, wie viel Beinmuskulatur sollte der Herr mitbringen oder sich antrainieren, damit er in der Lederhos’n eine gute Figur macht, und wenn Ihnen das alles zu profan ist, wursten Sie ein paar Zitate von Rousseau oder Henry Thoreau hinein. Muss ich Ihnen wirklich noch beibringen, was Feuilleton ist?«
D as Spielbein vorgestellt, so dass das etwas zu weiße Knie neckisch unter der schwarzen bestickten Lederhose hervorlugt, mit Edelweißmuster bestickt auch die Hosenträger überm rotweiß karierten Hemd, ärmellos die Lederweste, und auf dem Kopf der spitze Tiroler Gebirgsschützenhut: So blickt der Herr des Hauses – nachdem er den Börsenteil der »Frankfurter« zur Seite gelegt hat – hinüber zu seiner Gattin, die anmutig die Hand erhoben hält und in den Tagen bis zur nächsten Schaufensterdekoration gerade so dastehen wird, als werde sie jetzt gleich in ihrem Dirndl mit der karmesinroten Schürze einen Knicks machen …
Wer um Gottes willen zieht sich so an?, überlegt Karen Andermatt und ist einen Augenblick lang versucht, die Pose der Dirndl-Trägerin nachzumachen, wendet sich dann aber rasch von dem Schaufenster ab. Also wer? Sie betrachtet die Fußgänger, die an ihr
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