Berndorf 07 - Trotzkis Narr
Schluck Milchkaffee und will zum Wirtschaftsteil blättern, als er dieses merkwürdige Gefühl wahrnimmt, beobachtet zu werden. Er blickt auf und in die Augen von Karen Andermatt, die an der anderen Seite des Tisches sitzt.
»Lustige Nachricht, finden Sie nicht?«, fragt sie. »Ich hoffe, Regnier hat noch rechtzeitig Ihre Kostennote beglichen.«
»Ist geschehen«, bestätigt Berndorf. »Besten Dank auch für den Auftrag! Stehe gerne jederzeit wieder zu Diensten, aber …« Er tippt auf die Zeitung. »Wenn ich das Kürzel Stefan A. richtig zuordne, wird Ihr Mann sich nicht mehr in Berlin aufhalten. Und Sie …?«
»Sie ordnen richtig zu, aber wir haben uns erst einmal getrennt. Für die Zeit zwischen den Jahren fliege ich zu Freunden nach London.«
»Und die Short Cuts über unsere künftige Regierende?«
Sie hebt kurz ihre Schultern und lässt sie wieder fallen. »Es geht nicht. Wir wissen zu viel voneinander. Das Projekt hätte ein unbefangenes Beobachten und Beschreiben vorausgesetzt. Aber von Anfang an war Manipulation und Täuschung im Spiel.« Sie schaut auf ihre Uhr. »Ich muss jetzt zu meinem Terminal … Grüßen Sie Tamar, wenn es sich ergibt.« Sie hebt die Hand und lächelt ihm zu, dann nimmt sie ihre Reisetasche und wendet sich zur Abflughalle.
Eine knappe halbe Stunde später fallen sich Berndorf und die Professorin Barbara Stein in die Arme und bleiben erst einmal so stehen und halten sich fest. Aber das sind Momente, die niemanden sonst in der Welt etwas angehen. Wieder eine Viertelstunde später steuert Berndorf das kleine Auto vom Parkdeck und will erzählt bekommen, aber Barbara, deren katzengrüne Augen diesmal vom Jetlag ein wenig verquollen sind, hat keine Lust und will selbst etwas hören.
»Weißt du schon, wann der Prozess gegen Harlass beginnt?«
»Irgendwann im Frühjahr, jedenfalls erst nach den Neuwahlen zum Abgeordnetenhaus«, vermutet Berndorf.
»Steht das in einem bewussten Zusammenhang?«
»Das wird das Landgericht mit Abscheu und Empörung zurückweisen.«
»Und wirst du als Zeuge auftreten?«
»Ich glaube nicht«, antwortet Berndorf. »Erstens habe ich in dieser ganzen Sache überhaupt nichts getan, ich bin spazieren gegangen, ich bin mit Leuten zusammengesessen, und einmal habe ich jemandem zugesehen, wie er um seine Frau getrauert hat. Nichts davon taugt zur Wahrheitsfindung.«
»Wird Harlass allein auf der Anklagebank sitzen?«
»Vermutlich. Dingeldey und ich haben Strafanzeige gegen den Kriminalbeamten Keith wegen Anstiftung zu vorsätzlicher Körperverletzung und versuchtem Mord erstattet, Keith ist zwar suspendiert, aber nicht in Haft. Er war mal am Umkippen, aber jetzt streitet er wieder alles ab, und die Staatsanwaltschaft sieht keinen dringenden Tatverdacht. Die kleine tapfere Polizistin, die gegen ihn ausgesagt hat, ist zum neuen bundesweiten Waffenregister nach Köln versetzt worden oder hat sich dorthin versetzen lassen … Apropos Waffen: Die beiden Pistolen, die Harlass abgenommen wurden, sind vermutlich in den Neunziger Jahren aus der Schweiz und aus Frankreich nach Berlin geliefert worden, als Hilfspolizisten der Freiwilligen Polizeireserve einen schwunghaften Waffenhandel aufgezogen hatten … Und der Fall, der wortwörtliche Fall des Transvestiten Carmencita wird sowieso nicht mehr aufgeklärt werden können, den einen beteiligten Hilfspolizisten, nämlich Patzert, hat Harlass dankenswerter Weise abgefackelt, der andere ist vor ein paar Jahren an Aids gestorben, so was passiert auch Ordnungshütern.«
»Und das ganze Sauna-Schwitz- und Schmiersystem, kommt das zur Sprache?«
»Tja«, sagt Berndorf, »da habe ich vielleicht einen Fehler gemacht, weil ich Dingeldey zugezogen habe. Dingeldey hat als Anwalt des notorischen Gutachtenschreibers Finklin einen Deal mit der Staatsanwältin Gnadenlos ausgehandelt – er und Finklin verhalten sich still, und die Staatsanwaltschaft stellt sich auf den Standpunkt, sie könne nicht nachweisen, dass Finklins Machwerke nicht vielleicht doch ihr Geld wert gewesen seien …«
»Und Harlass?«, fragt Barbara, »wird der nicht auspacken wollen?«
»Ich weiß nicht, was er für einen Anwalt hat und ob der schlau ist. Wenn er schlau ist, handelt auch er einen Deal aus – Harlass gibt zu, dass er den Giselher Marcks erschossen hat, und erzählt nichts mehr davon, dass ihn Polizisten dazu angestiftet haben. Dafür verurteilt ihn das Gericht nur wegen Totschlags und lässt es bei zwölf Jahren oder so bewenden, und
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