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Bernstein-Connection - Klausner, U: Bernstein-Connection

Bernstein-Connection - Klausner, U: Bernstein-Connection

Titel: Bernstein-Connection - Klausner, U: Bernstein-Connection Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Klausner
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Madonnengesicht unter den Museumsbediensteten allerlei frivole Witze kursierten, trippelte nervös auf der Stelle. »Kopf hoch, Anatoli Michailowitsch«, redete sie dem in sich gekehrten Bernsteinexperten gut zu. »Wenn der Krieg vorbei ist, werden wir hier wieder Ordnung schaffen.«
    Die Antwort war ein desillusioniertes Schnauben, und während der Kustos ein Bernsteinfragment betrachtete, das er soeben aufgehoben hatte, bildeten sich Sorgenfalten auf seiner Stirn. »Wenn es dann noch da ist, Anna Semjonowa«, flüsterte er, nachdem in unmittelbarer Nähe eine weitere Granate detoniert war. »Wenn es dann noch da ist.«
    »Sie glauben doch nicht etwa, dass die Deutschen uns das antun werden?«
    Die Lippen des anerkannten Fachmannes kräuselten sich, auf seinem Mund erschien ein sibyllinisches Lächeln. »Auszuschließen ist es jedenfalls nicht«, versetzte er in nachdenklichem Ton. »Wenn man bedenkt, was sich allein dieser Göring so alles unter den Nagel gerissen hat, werden die Nazis bezüglich des Bernsteinzimmers wohl kaum irgendwelche Skrupel haben.«
    »Aber es war doch ein Geschenk, vom preußischen König an Zar …«
    »Peter den Großen, ich weiß«, vollendete der Kustos, runzelte die Stirn und sah seine Assistentin amüsiert an. »Wie Sie sich sicher vorstellen können, habe ich meine Hausaufgaben gemacht.«
    »Verzeihung, Genosse, ich wollte Sie nicht kränken.«
    »Was heißt hier ›kränken‹, Anna Semjonowa«, warf der Angesprochene mit hintergründigem Schmunzeln ein. »Dafür sind doch wohl die Deutschen zuständig. Wie gesagt: Bedenkt man, welche Schätze den faschistischen Invasoren bis jetzt in die Hände gefallen sind, besteht kein Grund zur Annahme, dass sie vor dem achten Weltwunder haltmachen werden.«
    »Und was …«, flüsterte die sichtlich betroffene Kunsthistorikerin, während sie der Kustos behutsam Richtung Ausgang bugsierte, »was wird dann geschehen?«
    »Zunächst einmal, Anna Semjonowa, wird unser aller Führer, der Genosse Stalin, den Krieg gewinnen müssen. Keine leichte Aufgabe, wie die vergangenen Wochen gezeigt haben.«
    »Und danach?«
    »Für den Fall, dass diese Utopie Wirklichkeit werden wird, Genossin, gibt es im Grunde zwei Möglichkeiten.«
    »Welche denn?«
    »Entweder wir bekommen das Bernsteinzimmer unversehrt zurück«, erwiderte der Kustos, drehte sich um und bedachte den Ort, der ihm mehr bedeutete als alles andere auf der Welt, mit einem wehmütigen Blick, »oder wir müssen noch mal ganz von vorn anfangen.«
    Daraufhin schloss er die Tür und eskortierte seine Assistentin zum Wagen.

4
     
    Berlin-Mitte, Psychiatrische Klinik der Charité, Charitéplatz | 04.40 h
     
    Im schlimmsten Fall, dachte er, werden sie dich irgendwo verscharren. Oder deinen Leichnam in die Spree werfen. Oder, um ihre Spur zu verwischen, irgendwo aufknüpfen. Der Einfachheit halber am besten gleich hier, an den Gitterstäben.
    Oder vielleicht im Park?
    Wann, wo und wie auch immer: Er würde ihnen einen Strich durch die Rechnung machen. Er würde etwas tun, womit niemand rechnete. Etwas Unerwartetes, Überraschendes – Kompromittierendes. Er, das in die Enge getriebene Opfer, würde ihre Pläne durchkreuzen.
    Hier und jetzt.
    Der fragil wirkende, extrem kurzsichtige und viel zu blasse Patient in mittleren Jahren lächelte stillvergnügt vor sich hin. Zugegeben, letzten Endes würde er gegen seine Widersacher auf verlorenem Posten stehen. Das war ihm von Anfang an klar gewesen. Im Grunde schon seit dem Tag, an dem der Professor zum ersten Mal aufgekreuzt war. Der Mann, mit dem er im Krieg durch dick und dünn gegangen war.
    Einer, der vor nichts zurückschrecken würde.
    Auch davor nicht, ihn zu beseitigen.
    Aber darüber brauchte er sich momentan keine Gedanken zu machen. Einmal gefasst, stand sein Entschluss fest. Ganz gleich, zu welcher Zeit, an welchem Ort und auf welche Weise man sich seiner sterblichen Überreste entledigen würde. Daran würden sämtliche Drohungen und Einschüchterungsversuche, ja nicht einmal die alten Zeiten etwas ändern.
    Der Insasse von Zelle 5, trotz Verhör, Folter und zahlloser Schikanen kein gebrochener Mann, lachte verächtlich auf, griff in seine Brusttasche und betrachtete die Kapsel zwischen Daumen und Zeigefinger, an denen jeweils der Nagel fehlte, aus nächster Nähe. Bei ihrem Anblick empfand er klammheimliche Freude, weit davon entfernt, es sich noch einmal anders zu überlegen. Fünf Gramm Morphium, mehr als genug. Diese winzige Kapsel,

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