Bertelsmannrepublik Deutschland: Eine Stiftung macht Politik (German Edition)
beschreiben, die Entwicklung deutlich machen – unabhängig von den handelnden Personen. Aber genau darin liegt ein Problem: Medienpolitik ist Standortpolitik in Deutschland. Alle gesellschaftlich relevanten Gruppen sollten Rundfunk in Deutschland bestimmen. Dazu zählen Parteien – neben Kirchen und Verbänden. Die Parteien aber haben im Laufe der Jahre die Macht in der Rundfunkpolitik an sich gerissen. Politiker sind Machtmenschen, geübt, anderen Honig ums Maul zu schmieren und eigene Interessen durchzusetzen. Der Bericht griff diese Strukturen nicht an. Kein Wort über die zweifelhafte Machtpolitik, mit der Politiker den Rundfunk im Griff haben.
Am Ende ging Ingrid Scheithauer eine Woche in Klausur nach Gütersloh und redigierte den akademisch verfassten Text. Es wurde ein Bericht, der die Erwartungen von Bertelsmann nicht unbedingt erfüllte, obwohl Mark Wössner beim ersten Zusammentreffen dabei gewesen war und in aller Offenheit gesagt hatte, dass die Medienaufsicht das Problem sei und dass ohne sie alles besser funktionieren würde. Falls die Bertelsmann Stiftung gehofft hatte, sie könnte an dem Bericht mitschreiben, so wurde sie enttäuscht. Die Kommission beauftragte das Hans-Bredow-Institut und ein anderes Institut, zwei Kapitel zu verfassen. Die Kommission nahm die Bertelsmann Stiftung als Dienstleister in Anspruch, der Hotels buchte und für das Essen sorgte – nicht mehr.
Am 18. Februar 1994 übermittelte die Kommission ihren Bericht dem Bundespräsidenten. Sie schrieb: Keiner anderen Freizeittätigkeit werde so viel Zeit gewidmet wie dem Fernsehen. 1993 sahen die Deutschen im Westen im Schnitt täglich 168 Minuten fern; im Osten waren es 209 Minuten. Sie nutzten überwiegend unterhaltende, weniger informierende oder bildende Programme und immer mehr Menschen sahen allein fern. Fernsehen verliere damit seine gesellschaftliche Integrationskraft. Die Kluft zwischen den gut Informierten und den wenig Informierten würde wachsen. Weiterhin habe das duale System von öffentlich-rechtlichem und privatem Fernsehen »zu neuartigen medienpolitischen Problemen geführt«. Durch die Zulassung der privaten Sender werde Rundfunk nicht mehr wie bei den öffentlichrechtlichen Sendern »als kulturelle Veranstaltung«, sondern als »Ware und Dienstleistung« verstanden. Deshalb sei »die Zukunft des Fernsehens besonders von zwei Faktoren geprägt: von der Zukunftssicherung der öffentlich-rechtlichen Fernsehanstalten und von der Sicherung der Vielfalt im kommerziellen Fernsehmarkt«.
Im Mai 1994 empfing Weizsäcker im Berliner Schloss Bellevue »sieben Mächtige des deutschen Fernsehens«, wie es der Spiegel formulierte. Jobst Plog (ARD), Leo Kirch (Sat 1, Pro 7), Helmut Thoma (RTL), Mark Wössner (Bertelsmann), Günter Prinz (Axel Springer Verlag), Rudi Sölch (ZDF) und Verleger Dieter von Holtzbrinck diskutierten zwei Stunden lang über die Studie.
Zehn Jahre nach dem Start des Privatfunks in Deutschland bemängelte sie Fehlentwicklungen und beklagte »Grenzüberschreitungen, die durch voyeurhaftes Zeigen die Würde von Opfern verletzten«, außerdem eine »Spirale der Superlative« in einer »Welt, die nicht die unsere ist«. Kultur im Fernsehen komme nicht »viel mehr als eine Alibi-Rolle« zu. Sie beklagte außerdem die »Allgegenwart von Gewaltszenen«, die zu Abstumpfung und »autoritären Gesellschaftsvorstellungen« führten. Die Vertreter der Parteien seien so häufig in Talkrunden und Spielshows, »dass Politiker ihren potenziellen Wählern in dieser Rolle vertrauter werden als in ihrem politischen Amt«; das sei »eine Rückkehr der höfischen Öffentlichkeit«. 1
Die Experten schlugen einen Medienrat vor, damit die Öffentlichkeit Auswüchse debattieren und kritisieren und so die Sender zur Selbstkontrolle zwingen könnte. Es war das Modell, auf das die Bertelsmann Stiftung eigentlich setzte: Diskussion statt staatlicher Kontrolle. Der Medienrat sollte Diskussionen anzetteln, aber er könnte Sendungen nicht verbieten oder zensieren. Der Bundespräsident sollte ihn beaufsichtigen und die Mitglieder berufen. Er sollte, finanziert aus dem Gebührenaufkommen, die Programme beobachten und Rügen aussprechen. Das würde jeden TV-Haushalt noch nicht einmal einen Pfennig pro Monat kosten. Ein schöner Wunsch, der aber nicht verwirklicht wurde.
Außerdem regte die Kommission nach dem Vorbild von Stiftung Warentest eine gemeinnützige »Stiftung Medientest« an, die strittige Programme auswerten sollte. Zur
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