Bertelsmannrepublik Deutschland: Eine Stiftung macht Politik (German Edition)
durchzusetzen. Die Frage blieb ungelöst, aber mit Bullinger haben Stiftung und Unternehmen damals einen Kritiker der öffentlich-rechtlichen Sender gefunden, auf den man bei Bedarf zurückgreifen konnte. Wössner, Lahnstein und andere Manager konnten sich ein Bild machen, wer für die Stiftung in Zukunft Gutachten erstellen sollte. Es ist wohl kein Zufall, dass Bullinger viele Jahre später im Sinne der Bertelsmann AG eine Reform des öffentlich-rechtlichen Rundfunks mit einem Gutachten im Sinne der Auftraggeber flankierte.
Ein Bericht zur Lage des Fernsehens
Am 20. September 1993 trafen sich unter Federführung der Bertelsmann Stiftung sechs Männer und zwei Frauen, um über die Lage des Fernsehens zu beraten. Es ging um die Verantwortung im Fernsehen. Es ist ein Projekt, das Mohn in Absprache mit Bundespräsident Richard von Weizsäcker anging. Beide trieben Fernsehen und seine Gefahren, vor allem für Jugendliche, um. Weizsäcker selbst hatte die Anregung für eine solche Studie im Gespräch mit den Chefs der Fernsehsender erhalten.
Welches Thema wäre besser für die gemeinnützige Stiftung des größten Medienkonzerns Europas geeignet als dieses, um zu demonstrieren, wie sehr der Stiftung Gemeinwohl und Demokratie am Herzen liegen? Der öffentlich-rechtliche Rundfunk gilt als Eckpfeiler der Demokratie in Deutschland. Als ein hohes Gut, das dem Gemeinwohl verpflichtet ist. Eine gemeinnützige Stiftung, die sich um die Zukunft des öffentlich-rechtlichen Rundfunks sorgt, vermittelt die Botschaft: Gemeinnutz trifft auf Gemeinnutz.
Die für die Medienprojekte zuständige Mitarbeiterin der Stiftung, Ingrid Hamm, formte eine Gruppe von Fachleuten, die den Bericht erstellen sollte. Zu dieser sogenannten Kommission zählten Wolfgang Hoffmann-Riem, Professor für öffentliches Recht an der Universität Hamburg; Jo Groebel, Professor des Lehrstuhls Psychologie der Massenkommunikation der Universität Utrecht in den Niederlanden; Bernd-Peter Lange, Professor für Wirtschaftstheorie der Universität Osnabrück; Norbert Schneider, der als Chef der Landesmedienanstalt in Nordrhein-Westfalen für die Zulassung und Kontrolle des privaten Rundfunks zuständig war. Außerdem die Medienjournalistin Ingrid Scheithauer, die seit Jahren für die Frankfurter Rundschau über Medienpolitik berichtete, und Renate Köcher, die das Meinungsforschungsinstitut Allensbach leitet.
Den Vorsitz führte Ernst Gottfried Mahrenholz, eine Empfehlung von Weizsäcker. Mahrenholz hatte mehrere Jahre das Funkhaus des NDR und die Staatskanzlei in Niedersachsen geleitet, hatte später im Landtag gesessen und ist Kultusminister in Niedersachsen gewesen; 1981 wurde er Richter am Bundesverfassungsgericht und von 1987 bis 1994 war er Vorsitzender des Zweiten Senats und Vizepräsident des Gerichts. Eine eindrucksvolle Persönlichkeit, die dem Bericht die nötige staatsrechtliche Bedeutung und Unabhängigkeit verleihen sollte. Immerhin hat das Bundesverfassungsgericht immer wieder grundsätzliche und wegweisende Entscheidungen zum öffentlich-rechtlichen Rundfunk getroffen. Mit Mahrenholz als Vorsitzendem verlieh sich die Kommission einen Hauch dieser Bedeutung.
Die Kommission fertige ihren Bericht für den Bundespräsidenten, nicht für die Bertelsmann Stiftung, betonte Mahrenholz. Die Mitglieder der Kommission trafen sich in Hamburg, in Kronberg bei Frankfurt und anderen Orten der Republik, mindestens achtmal und mieden dabei Gütersloh. Jeweils für eineinhalb Tage saßen sie in Hotels und Tagungsräumen beisammen. Mahrenholz wollte als neutraler Richter auftreten und legte Wert darauf, dass die Kommission keine Empfehlungen aufnehme, von niemandem – schon gar nicht von Bertelsmann oder der Stiftung des Unternehmens. Unabhängigkeit lag ihm am Herzen. Die zuständige Betreuerin von Bertelsmann, Ingrid Hamm, organisierte Essen und Übernachtungen, inhaltlich hatte sie aber nichts zu melden und keine Empfehlungen zu geben. Auf die anderen Kommissionsmitglieder erweckte sie nicht einmal den Eindruck, als wollte sie Empfehlungen abgeben. Alles schien so zu laufen, wie man sich das von einer gemeinnützigen Stiftung wünscht.
Wolfgang Hoffmann-Riem und Norbert Schneider waren die intellektuellen Köpfe. Renate Köcher hielt sich zurück und glänzte mehrfach durch Abwesenheit. Die Teilnehmer erlebten die Treffen als echte Debatte. Ernst Gottfried Mahrenholz lag daran, nicht Parteipolitik oder aktuelle Entwicklungen zu beschreiben. Er wollte das System
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