Berthold Beitz (German Edition)
Evelyn Döring Beitz’ Sekretärin in Boryslaw.
Er hat sich seiner Rettungsaktionen später nie gerühmt. Sehr lange hat er kaum davon gesprochen. Die Menschen um ihn herum haben ihn aber auch nicht gefragt. Dass er damals so viele Juden gerettet hatte, wurde überhaupt erst 1973 über wenige Eingeweihte hinaus bekannt, als ihn Yad Vashem zum »Gerechten unter den Völkern« erklärte. Damals schrieb ihm Spiegel -Herausgeber Rudolf Augstein: »Berthold, Du hast nie darüber geredet. Das rechne ich Dir hoch an.« Beitz hatte geschwiegen. Viele Deutsche seiner Generation haben das auch getan, freilich aus ganz anderen Gründen. Manche haben sich geschämt, vielleicht. Viele andere haben, das ist gewiss, den Mord an den Juden vergessen und verdrängt oder den Angriffskrieg, die Massenmorde, den Holocaust als einen historischen Betriebsunfall hingestellt, an dem einige wenige Schuld trugen, keineswegs aber sie selbst.
Als die Wochenendbeilage der Süddeutschen Zeitung im Februar 2008 ein Interview mit Berthold Beitz über seine Rettungstaten in Boryslaw abdruckte, lautete die Überschrift einfach: Freiheit. Große innere Freiheit ist es nämlich, die den Kern der Beitz’schen Persönlichkeit ausmacht. Er war innerlich frei genug, um sich dem Mordapparat entgegenzustellen. Nur wenige Menschen brachten einen solchen Willen auf, geschweige denn den Mut, die Kraft und die Fähigkeit, ihn durchzusetzen, wenn sich die Gelegenheit dafür bot. Was immer danach kam – Schwierigkeiten, Anfeindungen im Krupp-Konzern und durch die Politik, ökonomische Krisen –, er hatte Schlimmeres erlebt.
Berthold Beitz wurde zu einer der großen Persönlichkeiten der bundesdeutschen Nachkriegsgeschichte. Als ihn Alfried Krupp von Bohlen und Halbach 1953 zu seinem Generalbevollmächtigten machte, begann sein rascher Aufstieg. Vor ihm galt der Name Krupp als Synonym für Krieg und Kanonen. Beitz schuf den neuen Konzern, machte ihn zum Synonym für das bundesdeutsche Wirtschaftswunder, und Kanonen wurden nicht mehr gebaut. Als faktischer Lenker von Krupp war Beitz ein mächtiger Mann, einer der mächtigsten des Landes. Zeitlebens ein Einzelgänger, nutzte er die Freiheit, die ihm die Macht verlieh, auch für politische Alleingänge. Schon in den fünfziger Jahren reiste er nach Warschau und Moskau, mitten in der eisigsten Phase des Kalten Krieges, und betrieb dort seine Geschäfte ebenso wie aktive Versöhnung mit den Feinden von gestern. Auf diese Weise wurde er zu einem der Wegbereiter der Entspannungspolitik. Und er machte Krupp, ausgerechnet den im Ausland so übel beleumdeten Konzern, 1959 zum ersten produzierenden deutschen Unternehmen, das freiwillig Wiedergutmachung an ehemalige jüdische KZ -Häftlinge zahlte, die während des Krieges für die Firma hatten schuften und leiden müssen.
Er rettete Krupp 1966, als er Alfried Krupps exzentrischen Sohn Arndt im Auftrag des Vaters zum Erbverzicht überredete und die Grundlage schuf für die Umwandlung des Konzerns vom Familienunternehmen in eine GmbH, deren Alleineigentümerin die Stiftung werden sollte. Als deren Vorsitzender übernahm er nach Alfried Krupps Tod 1967 dessen geistiges Erbe und blieb ihm über Jahrzehnte treu: Als die globale Finanzkrise 2009 auch ThyssenKrupp erschütterte, war es Beitz, der Arbeitgeber und Gewerkschaften wieder an einen Tisch brachte und in der »Essener Erklärung« zu einem gemeinsamen Kampf für die Zukunft des Unternehmens verpflichtete. »Wenn Beitz ruft, dann sagt niemand nein«, erklärte später der Vorsitzende des Betriebsrats, Thomas Schlenz.
Beitz verkörpert den am Konsens orientierten Gedanken, welcher der sozialen Marktwirtschaft zugrunde liegt. Und seine Prinzipien, nämlich sozialer Ausgleich und Verantwortung des Unternehmers, die den Verfechtern des schrankenlosen Marktes eben noch als altbacken galten, sind heute in der globalen Krise aktueller denn je.
Wer Macht hat, hat auch Feinde, und wer die Konventionen missachtet, dem sind Kämpfe mit ihren Hütern gewiss. Beitz ist so streitbar wie umstritten. Bundeskanzler Konrad Adenauer zweifelte wegen dessen Moskau-Reise 1958 öffentlich an seiner »nationalen Zuverlässigkeit«. Die alte Garde der Ruhrindustrie versuchte mehrfach, ihn zu verdrängen, und dem mächtigen Bankier Hermann Josef Abs wäre dies 1967 beinahe gelungen. Die Familie von Bohlen und Halbach hat im Kampf um das Krupp-Erbe mit harten Bandagen und Gerichtsverfahren gegen ihn gestritten. Der Liedermacher Wolf Biermann
Weitere Kostenlose Bücher