Berthold Beitz (German Edition)
Später ist der Vater manchmal auf Heimaturlaub, dann sieht er, wie der Junge wieder gewachsen ist. Am 27. September 1916 bringt Erna Beitz ihr zweites Kind zur Welt, das Mädchen Brunhild.
Der kleine Berthold, der in der Obhut der Mutter und der Großeltern heranwächst, weiß wenig von Krieg und Toten. Großer Mangel herrscht nicht im Dorf, es gibt genug zu essen, freilich bescheidene Kost – selten Fleisch, stattdessen Kartoffeln, Rüben und Kohl. »Davon haben wir gelebt«, sagt Beitz heute, »und Bohneneintopf gab es auch.« Sie bauen das Gemüse im Garten selbst an. Manchmal haben sie ein Schwein, und wenn schließlich Schlachttag ist, muss das Fleisch »ein Jahr lang reichen«. Beitz führt sein hohes Alter und seine erstaunliche Gesundheit außer auf »gesunde Gene« auch darauf zurück, dass er »früher sehr normal und gesund ernährt worden« sei: »Wenn ich abends zu Hause bin, esse ich am liebsten noch immer Pellkartoffeln mit Salz und Hering. Da staunen die Leute immer. Das kommt aus meiner Jugend.«
Aber schon das Kind muss mitarbeiten und helfen, wo es kann. Die Familie hat wenig Geld. »Nein«, so Beitz im Rückblick, »leicht im heutigen Sinne war meine Jugend nicht. Ich habe eigentlich immer gearbeitet.« Mit fünf, sechs Jahren wird er hinausgeschickt, um Futter für die Schweine zu sammeln; in einem kleinen Handwagen zieht er die Ausbeute dann zurück zum Gut. Die FamilieBeitz ist nicht arm, aber sie lebt in sehr bescheidenen Verhältnissen.
Im Winter tragen die Kinder dicke Holzpantinen, im Sommer laufen sie barfuß, außer beim Kirchgang. Noch fast vierzig Jahre später, als ihm der Architekt Ferdinand Streb sein helles, lichtes Wohnhaus über dem Essener Baldeneysee entwirft, legt Berthold Beitz auf eines größten Wert: Er will im Sommer auf nackten Sohlen aus dem Wohnzimmer in den Garten gehen, die unterschiedliche Wärme drinnen und draußen spüren können.
Überbehütet sind diese Kinder wahrlich nicht, deren Spielplatz die Dorfstraßen sind, die Obstgärten, die Ufer der Bäche. Neben dem Haus steht die große Pumpe, mit der die Frauen das Wasser zum Waschen, Kochen und Baden holen; fließendes Wasser gibt es noch nicht in den Häusern. Berthold Beitz und die anderen Dorfkinder lieben es, im Winter Wasser auf den Weg hinunter zum Dorfteich zu pumpen, bis sich das Ganze in eine eisige Rutschbahn verwandelt. Auch im Sommer ist der Teich Treffpunkt der Jungen. Sie spitzen Äste an und versuchen, Fische aufzuspießen. Einmal wäre Berthold beinahe im Teich ertrunken: Die Waldarbeiter wässern dort die gefällten Stämme; die Kinder hüpfen von Stamm zu Stamm, eine wackelige Angelegenheit, und mit einem Mal dreht sich eines der Hölzer, Berthold stürzt ins Wasser. Er kann nicht schwimmen und klammert sich gerade noch irgendwie fest.
Und da sind seine drei Onkel Werner, Erhard und Willi, eine wilde Schar nur wenige Jahre älterer Jungs, die Söhne der Großmutter, mit denen der kleine Berthold herumzieht. Im Verwalterhaus schlafen alle vier Knaben in einem Bett. Sie schneiden Löcher in die Böden von Blechdosen, schnüren sie an einem Strick auf und binden diesen den Hofkatzen an den Schwanz, wildern, sie schießen Spatzen mit Zwillen und fangen Krebse in den Bächen der Umgebung. Bei den Onkeln lernt Berthold, sich durchzusetzen.
Im November 1918 kehrt Erdmann Beitz endgültig heim. Die pommerschen Ulanen haben erst an der Marne gegen Frankreich und dann von Ostpreußen bis Rumänien gegen das Zarenreich gekämpft. Zu den vielen Männern, die Erdmann Beitz hat sterben sehen, gehört auch der Baron von Bellersheim, dessen Kinder Erna einst gehütet hat. In den Straßen Demmins jubeln viele den überlebenden Reitern zu wie vier Jahre zuvor, als sie für Kaiser und Vaterland ausgezogen waren. Aber jetzt ist der Kaiser fort, gestürzt und geflüchtet, und die Geschicke des Vaterlands sind ungewiss. Wie viele Soldaten ist auch Erdmann Beitz überzeugt, dass der Krieg doch eigentlich fast schon gewonnen war. Im Osten hatten sie 1917 Russland besiegt, doch dann scheitert 1918 die letzte Großoffensive an der Westfront, wo die Amerikaner die wankenden Franzosen und Engländer entscheidend verstärkt haben. Die reaktionäre Oberste Heeresleitung unter Erich Ludendorff und Paul von Hindenburg führt den Kampf stur fort – und die Armee in die Niederlage, auf die in Deutschland wenige vorbereitet sind. Schließlich begehren die Soldaten im November 1918 gegen die Fortsetzung des bereits
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