Beschuetz Mein Herz Vor Liebe
sah seltsam verändert aus, wenn sie ihr Malgesicht hatte, dachte Therese. Sie war dann ganz bei sich selbst, jedenfalls glaubte Therese das zu spüren und es tat ihr weh. Schon damals wollte sie intensiv teilnehmen, doch sie fühlte sich ausgeschlossen. Sie selbst hatte offenbar keinerlei künstlerisches Talent. Ihre Mutterzeigte ihr die Münchner etablierten Künstler, wie Lenbach, Franz von Stuck, Kaulbach. Doch Therese brachte außer Staunen nichts zustande, was sie mit der Mutter hätte verbinden können.
Später, wenn Therese gefragt wurde, was sie denn einmal werden wolle, fiel ihr nichts ein, was sie wirklich interessiert hätte. Es lief ihr sozusagen aus der Familie zu, lag verzweifelt nahe, daß sie irgendwann sagte, sie wolle Medizin studieren. Großvater Suttner war Arzt, Onkel Julius ebenfalls. Seine amerikanische Frau war Professorin für Orthopädie in New York. Mit Thereses Eltern verkehrte Geheimrat Friedrich Müller, von allen Friedrich der Große genannt. Rhomberg war häufig zu Gast und Döderlein. Einmal kam Ferdinand Sauerbruch zum Essen. Therese mußte damals gerade zehn gewesen sein. Als er hörte, daß Therese später einmal Medizin studieren wollte, meinte er jovial, sie könne dann bei ihm Examen machen.
»Wir fangen gleich heute damit an«, sagte er und zog Therese zu sich.
»Also, was tun Sie, wenn zu Ihnen ein Patient kommt und sagt, Frau Doktor, ich habe einen kleinen Mann im Ohr?«
Alle im Raum lachten über diese Frage, schüttelten den Kopf, doch Therese gefiel diese Vorstellung. Sie sagte ohne zu überlegen, daß sie den kleinen Mann großziehen und heiraten werde.
»Bestanden«, rief Sauerbruch begeistert. »Sie haben bestanden, Frau Doktor.«
Leon studierte damals schon Medizin. Leon, Thereses späterer Mann. Er war zehn Jahre älter als Therese, er war ein Teil ihrer Kindheit und Jugend gewesen, so wie Anni, Delia und Rolf, der Berner Sennenhund. Die Suttners waren mit den Rheinfelders, Leons Eltern, eng befreundet. Dr. Rheinfelder, Internist und Lungenfacharzt, war derHausarzt der Familie. Leon hatte Therese, als diese noch ein Baby war, ständig herumgeschleppt und sich mit ihr beschäftigt. Später hatte er ihr Märchen vorgelesen und mit ihr gespielt. Als Leon dann um Therese warb und sie sich nicht sofort begeistert zeigte, wurden die Eltern nicht müde, sie daran zu erinnern, wie liebevoll Leon sich um sie gekümmert habe. In ihren Worten klang eine ernste Mahnung mit.
»Er hat dich total verwöhnt«, sagte Mutter, und es klang, als habe Therese das verschuldet. Therese schnappte auch sofort ein: »Was kann ich dafür, daß der mich dauernd rumgeschleppt hat, ich hab ihn nicht darum gebeten. Sag mal, Mutter – durfte der mich auch wickeln?« Mutter schwieg dazu. Sie mochte provokante Fragen nicht leiden. Statt dessen hatte Vater geantwortet, überraschend heftig. Dabei hatte Therese gedacht, er habe gar nicht zugehört.
»Seit zehn Jahren wirbt Leon um dich. Du kannst ihn doch jetzt nicht sitzenlassen.«
Therese war sicher, daß ihr Vater sie los sein wollte. Eine neunzehnjährige Tochter, die noch nicht in festen Händen war, beunruhigte ihn. Er selbst hatte Thereses Mutter geheiratet, da war sie gerade achtzehn, genau das richtige Alter, um sie nach seinem Bild zu formen. Diese Chance sollte Leon auch bekommen, und der künftige Mann von Sybille ebenso. Therese dachte oft, daß Leon besser Studienrat geworden wäre oder Dozent an der Universität. Ihr schien, als belehre Leon seine Umgebung von morgens bis abends. Er wußte alles besser als andere Leute, und vor allem wußte er alles besser als Therese. Sie war sein Baby, sein Geschöpf, sie hatte die Welt durch seine Brille zu sehen.
Leon fand, daß Therese eine viel zu enge Bindung an das Hausmädchen Anni habe und daß es sich nicht gehöre, wie sie mit Rolf, dem Hund, sich auf den Wiesen des EnglischenGartens herumbalge. Leon brachte Therese die Bücher Thomas Manns – ›Buddenbrooks‹, ›Zauberberg‹. Er brachte ihr Bergengruen, ›Malte Laurids Brigge‹ von Rilke. Therese sollte ein Buch über die Bildhauerin Renée Sintenis lesen und Nietzsche und Platon. Leon fütterte sie mit Bildungsgut wie eine Krähe ihr Junges. Im Schleißheimer Schloß hörten sie Beethovens Klavierkonzerte, im Brunnenhof ›Messias‹ von Händel. Therese liebte durchaus klassische Musik, die ›Brandenburgischen Konzerte‹ waren ihr teuer und die Lektüre der ›Buddenbrooks‹ faszinierte sie. Nur hätte sie lieber
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