Beschuetz Mein Herz Vor Liebe
das begriff auch Therese inzwischen, waren Sozialdemokraten, Russen, Kommunisten oder Franzosen, auch Pazifisten oder Christen, und vor allem die Juden.
»Der Jude«, so las sie, »ist und bleibt der typische Parasit, ein Schmarotzer, der sich wie ein schädlicher Bazillus immer mehr ausbreitet, sowie nur ein günstiger Nährboden dazu einlädt. Die Wirkung seines Daseins aber gleicht ebenfallsder von Schmarotzern, wo er auftritt, stirbt das Wirtsvolk nach kürzerer oder längerer Zeit ab.«
»Er sieht sich sogar als Erfüller des göttlichen Gebotes«, sagte Leon, »hier lies: ›Indem ich mich des Juden erwehre, kämpfe ich für das Werk des Herrn.‹«
Entweder war Hitler allzu einfach gestrickt, oder er war besonders raffiniert. Geschichtliche Entwicklung, alle Katastrophen großer Herrschaftssysteme führte er zurück auf die Mißachtung der Natur, insbesondere auf die Vermischung der Rassen untereinander. Jedes Lebewesen, so Hitler, beachtet strikt den eingewurzelten Trieb zur Rassereinheit. Meise zu Meise, Fink zu Fink, der Storch zur Störchin, Feldmaus zu Feldmaus. »Nur wir Menschen handeln diesen Gesetzen zuwider, begehen biologische Untreue. Die Blutsvermischung und das dadurch bedingte Senken des Rassenniveaus ist die alleinige Ursache des Absterbens alter Kulturen; denn die Menschen gehen nicht an verlorenen Kriegen zugrunde, sondern am Verlust jener Widerstandskraft, die nur dem reinen Blute zu eigen ist. Was nicht gute Rasse ist auf dieser Welt, ist Spreu.«
»Es kommt noch besser«, versprach Leon, »hier lies, sonst glaubst du es nicht, was für eine Phantasie dieser Hitler hat, der muß verrückt sein.«
Bestürzt las Therese: »Der schwarzhaarige Judenjunge lauert stundenlang, satanische Freude in seinem Gesicht, auf das ahnungslose Mädchen, das er mit seinem Blute schändet und damit seinem, des Mädchens Volke raubt. Mit allen Mitteln versucht er, die rassischen Grundlagen des zu unterjochenden Volkes zu verderben. So wie er selber planmäßig Mädchen und Frauen verdirbt, so schreckt er auch nicht davor zurück, selbst in größerem Umfange die Blutschranken für andere einzureißen. Juden waren es und sind es, die den Neger an den Rhein bringen.Immer mit dem gleichen Hintergedanken und klaren Ziele, durch die dadurch zwangsläufig eintretende Bastardierung die ihnen verhaßte weiße Rasse zu zerstören, von ihrer kulturellen und politischen Höhe zu stürzen und selber zu ihren Herren aufzusteigen.«
»Millionenfach«, sagte Leon, »millionenfach wird dies wüste Werk aufgelegt, in viele Sprachen übersetzt, auch jedes Paar, das heiratet, bekommt ›Mein Kampf‹ geschenkt. Was wundern wir uns denn da eigentlich? Gestern im Rundfunk hat er wieder gebrüllt: ›Wehe dem, der nicht glaubt.‹ Keine Angst, sie glauben ihm. Alle glauben ihm.«
Man konnte es hören, wenn sie in den Straßen grölten: Laß die Messer flutschen in den Judenleib, Blut muß fließen knüppelhageldick. Wir scheißen auf die Freiheit der Judenrepublik.
Therese begriff nichts. Wo war die Judenrepublik? Wer gehörte dazu? In München gab es 700 000 Einwohner. Davon waren, soviel Therese wußte, um die 10 000 Juden. Eine kleine Republik. Man sah nichts von ihr. Überall sichtbar und laut waren dagegen die Nationalsozialisten, die SS, SA, HJ, BDM und wie sie alle hießen. Therese sah in den Straßen blankpolierte Stiefel, sie marschierten aufgereiht, kreuz und quer durch die Stadt. Sie trugen Fahnen vor sich her, schmetternde Marschmusik dröhnte. Fast jede Woche gab es Aufmärsche. Die Leute jubelten dem Führer zu. So stand es jedenfalls im ›Stürmer‹ und so hörte Therese es aus dem Radio. Therese, ihre Schwester und auch ihre Eltern vermieden es, so gut sie konnten, in Münchens Straßen spazierenzugehen. Dort sah man kaum, so wie früher, elegante Leute. BDM-Mädchen mit dicken Zöpfen und derben Schuhen, und die Gestiefelten mit den braunen Hemden, sie waren die neue Eleganz. Die Eleganz der Parteibonzen, die ebenfalls in braunen Hemden und glänzenden Stiefeln durch die Straßen flanierten. Erwählt undselbstbewußt. Therese spürte, da lief ein Leben ab, das gegen ihr Leben gerichtet war. Auch gegen das Leben der Familie, gegen das Leben Leons.
An ihrem Hochzeitstag ließ sich Therese von allen Verwandten umarmen und küssen. Sie redete und lachte, ohne zu wissen warum. Jedenfalls schien ihr das später so. Wann auch immer sie sich erinnern wollte, sich ihre Gedanken und Empfindungen ins
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