Beschuetz Mein Herz Vor Liebe
Gedächtnis zurückrufen, es gelang ihr nicht. Therese wußte nur, daß sie verheiratet war und daß ihr Mann, Leon, immer mehr den Boden unter den Füßen verlor. Leons Stellung als Oberarzt in der Uni-Klinik wurde ihm gekündigt. Er mußte auch aus der Geschäftsführung seiner Standesorganisation, des Deutschen Ärztebundes, ausscheiden. Dabei war er auf diese Berufung stolz gewesen. Jüdische Ärzte bekamen auch keine Zulassung mehr zu den Kassen. Daher konnte Leon sich nicht als Hautarzt niederlassen. Er durfte auch nicht befreundete arische Kollegen vertreten. Kein arischer Arzt durfte ihm Patienten überweisen oder ihn zu Beratungen zuziehen. Sonntagsdienst oder Nachtdienst durfte Leon auch nicht mehr machen.
Therese wohnte mit Leon im Haus ihrer Eltern. An eine eigene Wohnung für das Paar war nicht zu denken. Außerdem war im Suttnerschen Hause reichlich Platz. Daher verlief Thereses Leben äußerlich nicht wesentlich anders als vor ihrer Ehe. Therese war darüber froh. Jedoch Leon, den sie gut zu kennen glaubte, wurde ihr von Tag zu Tag unheimlicher. Therese fragte sich, ob das nur seine berufliche Tragödie war, die ihn so veränderte, oder ob ihm die Ehe nicht bekam. Schließlich war es seine Idee gewesen zu heiraten. Therese konnte nicht umhin, ihn darauf manchmal hinzuweisen. Der früher so ruhige Leon, der siefreundlich und vielleicht auch nachsichtig aus seinen dunklen Augen angeschaut hatte, schien ihr jetzt oftmals wie ein gereiztes Krokodil. Plötzlich war er in Thereses Nähe, und es schien, als würde die Luft eisig. Therese fragte sich, was sie falsch gemacht hatte, und war zugleich zornig darüber, daß sie sich das fragte. Ihr Vater hatte ihr eigentlich gereicht als Spiegel ihrer eigenen Ungeschicklichkeiten. Jetzt, durch Leon, schien sie noch mehr zu schrumpfen. Therese war keine besonders gute Köchin. Sie komponierte aber immer gern die Salatsoßen, und sogar Anni hatte sie dafür gelobt. Leon jedoch verbot strikt, daß Therese den Salat anmachte, und sie erlebte, daß er ihr in seiner Gegenwart tatsächlich mißlang. Therese wußte doch ohnehin, daß sie mit Leons wachem, kritischem Geist nicht mithalten konnte. Doch wenn sie im Familienkreis etwas berichtete und plötzlich Leons Naja-Blick auffing, schienen ihr die eigenen Worte wie fremde Holzperlen aus dem Mund zu rollen. Also schwieg Therese meist in Leons Gegenwart. Dann fragte er todsicher nach kurzer Zeit, was sie denn gegen ihn habe. Er schalt Therese launenhaft.
»Sieh mal in den Spiegel, du siehst häßlich aus, wenn du deine Launen hast.«
Therese fand sich selber häßlich. Aber von Leon wollte sie das nicht hören. Sie schrie Leon an, daß sie auf ihn liebend gern verzichten könne und warum er denn eine so häßliche Frau geheiratet habe. Sie legte ihm nahe, doch wieder zu seinen Eltern in die Prinzregentenstraße zu ziehen. Hier im Herzogpark könne man ohne ihn leben. Darauf meinte Leon, daß er nichts so sehr hasse wie hysterische Frauen.
»Immer schon hab ich die gehaßt. Und nun hab ich selber eine. Die hysterischste und verwöhnteste, die man sich denken kann. Ich Trottel.«
Zu dem Trottel hätte Therese Leon gerne gratuliert. Aberdas ließ sie bleiben. Sie hatte gelernt, daß Leon aus den nichtigsten Anlässen, aus dem kleinsten Geplänkel heraus aggressiv werden konnte. Therese liebte kleine Geplänkel, aber Leon verstand es, daraus ungeheuerliche Beleidigungen zu konstruieren. Roheiten, die Therese ihm an den Kopf geworfen habe. Dann konnte Therese noch so oft versichern, daß sie nichts Böses im Sinn hatte. Es half nichts.
Leon konnte in seinem Zorn völlig die Beherrschung verlieren. Er warf dann mit Geschirr oder Möbelstücken. Wie durch ein Wunder kamen ihm dabei aber immer Thereses Aussteuerstücke unter die Hände, niemals warf Leon mit seinem Eigentum herum. Machte Therese ihn auf diese Angewohnheit aufmerksam, schürte sie das Feuer erneut. Nur wenn Leon auf Therese in ihrer Eigenschaft als Ehefrau zu sprechen kam, schwieg Therese schuldbewußt. Sie wußte, daß sie versagte. Der Spaß verließ sie, wenn es ernst wurde mit den Ehegeschäften. Warum reicht es nicht, wenn zwei nebeneinanderliegen, ein wenig schmusen und gemeinsam atmen? Warum muß da immer soviel passieren? Daß ihre Hochzeitsnacht eine mißglückte Premiere war, glaubte Therese nicht besser verdient zu haben. Es wurde getanzt im Haus der Braut. Ein Fest mit jüdischen Gästen, aber es war keine jüdische Hochzeit, auch keine
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