Beschuetz Mein Herz Vor Liebe
Wieshamer angelockt. Vor allem die Kinder überwanden ihre Furcht und kamen näher. Sie starrten den schwarzen Trompeter an, der seinen Kopf mit der Fahne schmückte, die ihre Eltern hastig in die Odelgrube gesteckt hatten.
Im selben Moment hörte Therese rasche Schritte die Treppe heraufkommen. Männerschritte. Sie hörte die Stimmen Hurlers und Kerzls, die sich ihrer Tür näherten, rausrannten auf den Balkon. »Mir müßn weg, mir müßn weg«, hörte sie Hurler hervorstoßen. Sie hörte auch, wie die beiden ihre Waffen auf den Balkon warfen und sich dann über das Geländer schwangen, um sich offenbar im Garten zu verstecken.
Dann hörte Therese, wie draußen Soldaten vom Panzer sprangen und ins Haus kamen. Sie sah nicht, daß sie Maschinenpistolen im Anschlag hatten. Doch sie hörte die Amerikaner im Flur schreien: »Are you the Police Officer? Than you are a Nazi, right?«
Therese konnte hören, daß die Offiziere Kaspar Lechner durch die Diensträume trieben. Sie hörte Lonis hysterisches Schreien, ein barsches »Shut up« der Amerikaner.Die Stimmen der Soldaten überschlugen sich fast vor Haß. Oder war es Angst?
»Give us your arms, quick, quick, hurry up«, schrien sie.
Therese hörte keinen Ton von Kaspar, auch nicht die Stimme von Max. Sie hörte nur, wie die Amerikaner Kaspar Lechner wieder anbrüllten, er solle die Waffen auf den Boden werfen, hier, auf einen Haufen.
Die Soldaten rissen alle Türen auf, die Schränke, wollten wissen, ob noch mehr Nazischweine in der Polizeistation seien, aber die Lechners verstanden sie nicht, und die Amerikaner trieben sie vor sich her die Treppe hinauf. Therese hörte jetzt wieder Lonis schrille, fast überschnappende Stimme: »Frau Doktor, Frau Doktor, helfen Sie uns.«
Loni riß Thereses Verschlag auf, wollte zu Therese – doch ein Offizier riß sie brutal zurück, bückte sich vor dem Verschlag, die Maschinenpistole im Anschlag. Therese sah zunächst nur die Waffe, dann sein fassungsloses Gesicht: »What the hell is going on in here?«
Therese kroch auf den Amerikaner zu, der vor ihr zurückwich. Sie kam heraus aus dem Verschlag, hielt dem Amerikaner ihre Kennkarte hin: »I am Jewish«, sagte Therese, und der Soldat ließ seine Waffe sinken.
»You are Jewish?« murmelte er ungläubig. Die Soldaten starrten Therese an, die Schwierigkeiten hatte, auf die Beine zu kommen. Seit zwei Wochen lag oder hockte sie in dem Verschlag, war sie nicht mehr aufrecht gestanden. Mühsam kam Therese hoch, Kaspar Lechner wollte sie stützen, doch der Amerikaner stieß ihn weg. »Hang on, Nazi«, und dann schaute er wieder fassungslos auf Therese und murmelte etwas, das wie »Holy shit« klang.
Plötzlich wieder Loni, beschwörend, bettelnd: »Frau Doktor, sagen Sie doch, daß wir Sie versteckt haben! Daß wir Ihre Freunde sind!«
Ja, sagte Therese auf Englisch. Ja. Sie haben mich vor den Nazis versteckt.
Die Amerikaner schien das nicht zu interessieren. Sie schrien Kaspar Lechner an, daß er das Haus verlassen müsse. Sofort. Seine Familie auch. Thereses Bitten, ihre Erklärungen änderten daran nichts. »You need a doctor«, entschied der Offizier. Er wickelte Therese in eine Decke und trug sie zu seinem Jeep. Es war Therese, als stürze er sich mit ihr in die Sonne. Die Helligkeit des Tages betäubte sie fast. Sie mußte ihre Augen mit den Händen schützen. »Poor girl«, sagte der Offizier weich und bettete Therese fürsorglich auf den hinteren Sitz des Fahrzeugs.
Der Jeep fuhr langsam durch den Ort. Vorsichtig umging der Offizier Schlaglöcher oder Trümmer, die den Weg schwer passierbar machten. Therese sah Wiesham zum erstenmal in Ruhe und Freiheit. Ein zerstörter Ort. Nur zögernd gingen die Menschen auf die Straßen, die aufgerissen waren vom Kämpfen. Häuser brannten, Ställe und Stadl. Drei Jahre lang hatte Therese vom Ort nur Geräusche gehört. Das Läuten der Glocken, die Stimmen der Menschen, das Vieh in den Ställen. Sie hatte in Wiesham gelebt und doch nicht gelebt. Oder war es vielleicht so, daß sie, unbarmherzig allein mit sich, erst in Wiesham zu leben begonnen hatte? Hatte sie nicht erst hier gelernt, daß sie mit ihrer Familie in einer Art Glaspalast gewohnt hatte, aus dem sie auf das Leben blickte wie auf ein Schauspiel, ihr zu Ehren aufgeführt? Hatte sie erst drei Jahre lang in einer Art Grab leben müssen, um zu erfahren, daß sie nicht länger Ehrengast war, nicht mehr sein wollte? Daß sie zu den Menschen gehörte, zum alltäglichen,
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