Ash Grey
NICHT AUFFALLEN
Das Leben kann leicht sein. Man versucht nicht aus der Reihe zu tanzen, kein schlechter Mensch zu sein und ein bisschen Glück abzugreifen - soweit die Theorie.
Ich f alle nicht auf, meistens sieht man mich gar nicht und ich bin kein schlechter Mensch, denn ich will ständig allen alles Recht machen. Eigentlich müsste es leicht sein, aber das ist es nicht.
Ich höre meine Mutter draußen schre ien und drehe die Musik leiser. Ich will verstehen was sie sagt, herausfinden weswegen sie diesmal streiten, aber eigentlich weiß ich es schon. Es ist immer dasselbe leidige Thema und trotzdem hoffe ich überrascht zu werden. Das ist Einsteins Definition von Wahnsinn.
Die Sache müsste vom Tisch sein , schließlich haben sie sich auf eine Lösung geeinigt. Ich weiß nicht warum sie trotzdem streiten.
In Zeitlupe wickle ich die Ohrstöpsel um meinen MP3-Player. Er hat schon bessere Tage gesehen. Manche Tasten klemmen, ich kann nicht mehr vorwärts schalten nur zurück. Meistens höre ich dasselbe Lied tausendmal so wie heute. Kryptonite von 3 Doors Down .
„ When I go crazy then will you still call me Superman?“
Wenn ich aus meiner Rolle fallen würde, würden sie mich noch mehr hassen. Genau deshalb bin ich still, widerspreche nicht, bin unkompliziert. In Wirklichkeit bin ich nicht so einfach. Ich würde gerne schreien und um mich schlagen, aber so habe ich noch nie reagiert, das hätte es nur noch schwieriger gemacht.
Als ich aus meinem Zimmer in den Flur gehe, werden die Stimmen lauter. Sie streiten in der Küche. Ein dicker Schleier aus Zigarettenrauch hängt in der Luft. Ich nehme meine schwarze Weste vom Hacken und stopfe sie in meine Tasche. Draußen ist es nicht kalt, wir haben Juli, aber ich weiß nicht wie lange ich wegbleibe und nachts wird es manchmal kühler.
Als meine Mutter mich sieht, will sie wissen, ob ich mit meinem Vater gesprochen habe. Ich habe ihr schon erzählt, dass ich bei ihm war, ich wiederhole mich nur. Sie fragt nochmal ob alles geklärt ist und ich nicke. Sie weiß, dass es nicht so ist, aber sie will es nicht hören, also sage ich es auch nicht. Sie geht wieder zurück in die Küche und ich ziehe die Haustür hinter mir zu.
Ich rufe Dina an. Eigentlich heißt sie Diana, aber so nennen sie nur ihre Eltern. Sie hat keine Zeit, weil sie auf ihrem Pferd sitzt. Freitags geht sie immer reiten, mittwochs hat sie Gitarre. Sie spielt nur englische Volkslieder, oder Kinderlieder, etwas anderes hat ihr ihr Lehrer noch nicht beigebracht.
Ich nehme den Bus in die Stadt, fahre dieselbe Strecke wie immer. Alles ist grau und heruntergekommen, die Häuser, die Straßen, die Autos. Erst wenn der Bus die Altstadt erreicht wird es freundlicher.
Hier ist es nicht so abgefuckt wie in meiner Gegend. Ich laufe gerne durch die Einkaufsstraße und bummle durch Geschäfte. Wahrscheinlich bin ich der einzige Mensch auf der Welt, der noch in der CD Abteilung nach neuer Musik sucht. Zuhause darf ich nicht an den Computer. Meine Mutter hat ihn zwar gekauft, aber sie hat ihn meinem Stiefvater geschenkt, damit ist er offiziell für mich tabu. Ich finde mich hier sowieso besser zu Recht.
Ich weiß wo die Neuveröffent lichungen stehen, dass einige der Bands falsch einsortiert sind. Es gibt nichts Neues. Ich warte auf ein Billy Talent Album das noch nicht mal angekündigt wurde. Ich warte auf vieles, auch auf ein neues Nirvana Album, das gar nicht mehr produziert werden kann. Dieser naive Optimismus sieht mir ähnlich. So lebe ich mein Leben. Ich warte darauf, dass meine Mutter mich bleiben lässt, obwohl ich weiß, dass sie mich loswerden will. Das weiß ich schon seit Jahren. Ich ignoriere es trotzdem und warte ab, auch jetzt noch, obwohl es ernst wird. Morgen werde ich nicht mehr warten können, dann muss ich handeln, aber darin bin ich schlecht also denke ich nicht darüber nach.
Ich gehe in ein Geschäft und sehe mir Tops an. Ein rotes gefällt mir, es hat Schlitze an den Seiten in denen Sicherheitsnadeln stecken. Ich mag punkige Sachen, solange man es nicht übertreibt. Der Preis ist in Ordnung, aber ich traue mich trotzdem nicht Geld auszugeben.
Letztes Jahr habe ich angefangen Nachhilfe zu geben. Ich bin gut in Mathe, gut genug um Schülern aus der Unterstufe zu helfen. Die wenigstens verstehen Mathe. Man verdient nicht schlecht daran. Von zuhause bekomme ich schon lange kein Geld mehr. Irgendwann haben sie aufgehört mir Taschengeld zu geben und ich musste sehen wie ich
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