Beschuetz Mein Herz Vor Liebe
seit den Fliegerangriffen klar, daß ihre Verfolgung als Jüdin, die sie brutal ausgesondert hatte von den Deutschen, daß diese grausame Isolation aufgehoben war. Sooder so teilte Therese jetzt diesen Krieg mit allen Menschen in Deutschland. Mit ihren sogenannten Feinden und mit den Menschen, die ihr geholfen hatten. Zu Tausenden waren allein in den Münchner Kellern die Menschen erstickt. Und der, dem sie so willig geglaubt hatten, von dem sie so viel erhofft hatten, den manche mehr als ihren Gott geliebt hatten, der saß in seinem Luxusbunker und sah sich Filme an, während die Münchner in ihren Kellern nach Luft rangen.
Die Kinder der Evakuierten, die aus München kamen, hatten dies alles Max erzählt. Auch, daß die Eltern jeden Monat zwanzig Reichsmark hergeben mußten. Jahrelang hatten sie so auf einen Volkswagen gespart. Es war ihnen oft sauer geworden. Aber die Vorfreude auf ein eigenes Auto hatte selbst die Kinder zu Opfern bereit gemacht. Keine Familie hatte einen Wagen bekommen. Sie alle wurden Militärfahrzeuge. Ebenso die großen Schiffe, die den Familien für Ferienreisen versprochen waren, die »Robert Ley«, die »Wilhelm Gustloff«, die »Stuttgart«, sie alle wurden Lazarettschiffe.
Und jetzt sollte immer noch nicht Schluß sein mit dem Wahnwitz. Auch noch die letzte Zuflucht der Menschen, die Dörfer auf dem Land, sollten geopfert werden. Die Evakuierten und die Wieshamer hatten genug vom Krieg. Wenn die Amerikaner Wiesham beschossen, dann kamen sie auch bald in den Ort. Die Leute rannten in Panik zur Gendarmerie, zum Pfarrer, zum Ortsgruppenleiter. Weiße Fahnen sollten gehißt werden. Schließlich war die Kirche schon von einem Granatsplitter getroffen, Dach und Gewölbe durchschlagen. Und im Keller saßen die Frauen mit ihren Kindern. Die SS fuhr noch eine schwere Panzerabwehrkanone in den Pfarrhof, schoß wie wahnsinnig gegen die einrückenden Amerikaner. Volkssturm und Werwolf kämpften mit Panzerfäusten. Es war, als sei Wieshamder Vorhof der Hölle. Alle, die sich in die Kirche geflüchtet hatten, suchten sich jetzt voller Angst in den Bergen zu verstecken.
Therese hörte den Lärm der Geschütze, die Befehle, die Schreie. Und im Haus unten aufgeregte Stimmen, das Getrampel schwerer Schuhe. Kaspar kam, stieß hervor, daß Therese sich tief in ihre Decken verstecken solle, denn er, Lechner, müsse zum Pfarrhof. Die SS wollte tatsächlich den Pfarrer und den Mesner erschießen, weil sie die weißen Fahnen gehißt hätten. Therese hörte Lechner die Treppe hinunterrennen und offenbar mit einem Trupp von Leuten, die ihn benachrichtigt hatten, in den Ort laufen.
Vor etwa einer Stunde, als Kaspar Therese ein paar Brotstücke und Milch brachte, hatte er ihr berichtet, daß Bad Tölz schon den Amerikanern übergeben sei. Nur in Wiesham lebte noch der Geist des Terrors. Schon kamen die Amerikaner von Tölz-Gaisach herauf. Da schoß die SS immer noch vom Winkelfleck her, so daß Wiesham und seine umliegenden Berge im Kreuzfeuer lagen.
Endlich kam Kaspar zurück. Die SS hatte in der letzten Sekunde davon abgesehen, Pfarrer und Mesner zu erschießen. Oberst Grothe hatte sie wahrhaftig noch vor ein Standgericht bringen und liquidieren lassen wollen. Doch die Nachricht vom Vorrücken der Amerikaner auf Wiesham hatte den Pfarrer und seinen Mesner vor dem Tod bewahrt. Die SS verließ Wiesham. Die Amerikaner konnten jede Minute da sein. Therese und Kaspar beschlossen trotzdem, daß Therese noch in ihrem Verschlag bleiben sollte, bis wirklich alle Gruppen abgezogen waren. Es war immer noch möglich, daß ein SS-Offizier in der Gendarmerie Schutz suchen wollte. Oder daß Leute vom Volkssturm oder vom Werwolf aus den Bergen zurückkamen, um sich hier zu verstecken.
Therese hörte zuerst das Rollen. Es mußten die Panzerketten sein. Ein eigentümlich dumpfes Rollen. Thereses Herz begann zu klopfen, rasend schnell. Dann setzte es wieder aus, um noch verrückter bis in Thereses Hals hinaufzuschlagen. Die Amerikaner! Sie würden Therese befreien! Plötzlich hörte sie schrille metallische Töne, das Rollen der Panzerketten verstummte.
Die Kolonne hielt vor der Gendarmeriestation. Therese hielt das Ohr eng an die Wand gepreßt. Sie konnte nicht sehen, daß auf dem ersten amerikanischen Panzer ein farbiger Soldat saß. Um seinen Kopf hatte er eine rote Hakenkreuzfahne geschlungen. Er blies auf einer Kindertrompete. Die blechern hellen Töne, begleitet von dem dumpfen Rollen der Panzerketten, hatten die
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