Besessen von dir
den Arzt neben sich gar nicht zu bemerken. Nach zehn Minuten gab Henshaw auf. Er mußte noch zu anderen Patienten, und in einer halben Stunde fand eine Besprechung statt.
Die Hände in den Taschen ging er durch lange Flure zum Bürotrakt. Aus seinem Zimmer ganz am anderen Ende des Gebäudes konnte er in den großen Garten sehen. Er ließ sich in den Sessel fallen und fragte sich, ob Lee Johnston jemals wieder gesund würde. Dennoch hatte man in Erwägung gezogen, ihn zu entlassen. Abgesehen von ein paar Vorfällen hatte Johnston sich mustergültig verhalten.
Henshaw spielte nachdenklich mit einem Kugelschreiber. Ein paar Leute hatten sich immer wieder nach Johnston erkundigt.
Oft genug hatte der Ex-Mann von Kaylie Melville ihn
angerufen. Anscheinend hing der Mann immer noch an dieser Frau. Genau wie Lee. Und dann war da noch Kaylies
Mitarbeiter, Alan, der offensichtlich immer wieder mit ihr zusammenarbeitete. Es gab sogar Gerüchte über eine Verlobung, doch das alles war Dr. Henshaw ziemlich egal. Solange es nicht seinen Patienten betraf.
Ein paarmal hatte Dr. Henshaw Kaylie getroffen, und selbst er, der seit siebenundzwanzig Jahren glücklich verheiratet war und zwei Enkel hatte, konnte verstehen, daß es Männer gab, die beim Anblick von Miss Melville verrückt wurden. Ob sie es wußte oder nicht, sie hatte eine unglaublich aufreizende Ausstrahlung.
Der Arzt schob sich das schüttere Haar aus der Stirn und legte seine Brille auf den Tisch. Wie konnte er Lee bloß helfen?
Nur durch ein Wunder würde er Johnston davon überzeugen können, daß Kaylie kein Interesse an ihm hatte.
***
Es dauerte Stunden, bis sie zurück in San Francisco war.
Während der langen Fahrt durch die Berge kämpfte Kaylie immer wieder gegen ihr schlechtes Gewissen an. Die Sonne ging allmählich auf, und Kaylie schob ihre Zweifel beiseite.
Jetzt war nicht die Zeit, in ihrem Entschluß zu wanken.
Beim Gedanken an Don und wie er mit ihr geschlafen hatte, schnürte sich ihr die Kehle zu. Sie hörte noch die geflüsterten Liebesschwüre und roch den Duft seines Körpers. Immer noch sah sie ihn nackt auf dem Bett liegen.
Mit einem raschen Blick in den Rückspiegel stellte sie fest, daß sie schwarze Ringe unter den Augen hatte. “Ach komm schon”, sagte sie aufseufzend zu sic h selbst. “Vergiß ihn!” Hatte er es nicht verdient, dort oben zurückgelassen zu werden?
Doch das Feuer ihrer Leidenschaft konnte sie nicht so rasch verdrängen. Mit welcher Zärtlichkeit er sie geküßt hatte!
Er war gleichzeitig wundervoll und schrecklich, und Kaylie wollte nicht, daß er aus ihrem Leben verschwand. Um zu vergessen, schaltete sie das Radio ein und versuchte, einen Nachrichtensender zu empfangen. “Du schuldest ihm nichts.
Nach allem, was er dir angetan hat!”
Sie bog auf die Schnellstraße in Richtung Westen nach San Francisco. Bei der Zentrale vom Sicherheitsdienst würde sie Dons Wagen mitsamt den Schlüsseln abgeben. Wenn sie Brad Hastings, Dons engsten Mitarbeiter, traf, würde sie ihm sagen, wo er seinen Chef abholen konnte.
Bei dem Gedanken lächelte sie leicht gequält. Don würde außer sich sein vor Wut. Endlich hatte sie ihn doch noch überlistet, obwohl sie sich an dem Sieg nicht richtig freuen konnte.
Kaylie umfaßte das Lenkrad fester, als sie die grünschillemde Bucht von San Francisco erblickte. Die Sonne spiegelte sich im Wasser, und am Horizont erkannte sie die Wolkenkratzer der Stadt.
In der Stadt herrschte wie üblich stockender Verkehr, und auf den Fußwegen hasteten die Menschen vorüber.
Mit dem Jeep waren die steilen Straßen der Innenstadt kein Problem, und bald darauf parkte Kaylie vor ihrem
Apartmenthaus. Sie ließ die Handbremse einrasten und stellte den Wagen ab. Abgesehen vom Ticken der Wagenkühlung hörte sie kaum einen Laut, und schlagartig überkam sie das Gefühl, etwas Wichtiges vergessen zu haben. Als habe sie etwas Lebenswichtiges im Blockhaus zurückgelassen.
“Sei nicht töricht!” schalt sie sich, schloß den Jeep ab und ging zum Fahrstuhl, um in ihr Apartment im dritten Stock zu fahren.
Drinnen sah alles genauso aus, wie sie es letzte Woche zurückgelassen hatte, aber die Atmosphäre kam ihr leerer, irgendwie verloren, vor. Und das, obwohl Don hier nie gelebt hatte.
“Das bildest du dir ein”, rief sie sich zur Ordnung, zog sich rasch aus und ging unter die Dusche. Sie mußte einen klaren Kopf bekommen, ein paar Anrufe tätigen, und später konnte sie dann noch einmal in Ruhe
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