Besessene
mit dem Typen, der dir Schnecken den Rücken hinunter- und Spinnen die Nase hinaufgejagt hat.«
Luke Cassidy war fünf Jahre älter als ich und hatte die letzten zehn Jahre nichts Besseres zu tun gehabt, als mich auf jede mögliche Art und Weise zu terrorisieren. Ich dagegen hatte in meiner Kindheit nichts Besseres zu tun gehabt, als ihm und seinen Freunden hinterherzulaufen, obwohl sie es immer irgendwie schafften, mich abzuschütteln. Dann ging Luke weg, um zu studieren, und ich war überrascht gewesen, wie sehr ich ihn vermisste. Und jetzt war er zurück und stichelte noch immer gern.
»Die kleine Kat ist mittlerweile aber auch ganz schön erwachsen«, sagte er und sammelte behutsam die Glasscherben vom Boden auf. »Ich hab dich kürzlich mal mit deinem Freund gesehen und dir auch zugewunken, aber du warst zu beschäftigt, um mich zu bemerken.«
Ich wurde rot, weil mir genau bewusst war, wie fürchterlich entrückt ich aussah, wenn ich mit Merlin Händchen hielt. Hastig wechselte ich das Thema. »Und wie ist es so als Journalist?«
»Bis jetzt habe ich nur über drei Kirchenpartys, eineHundeausstellung und einen alten Mann berichtet, der zusammen mit einem Eichhörnchen in einem Baumhaus lebt.«
»Keine Anfragen von überregionalen Zeitungen?«
Luke starrte in den Himmel. »Vielleicht im nächsten Jahr.«
Aus dem Augenwinkel schien er mich genau zu betrachten. »Stimmt was nicht? Ist mein Make-up verschmiert?«
»Du hast dich verändert, das ist alles«, murmelte Luke und senkte schnell den Blick.
Ich streckte einen Finger aus, berührte sein Kinn und grinste. »Du auch. Luke muss sich endlich rasieren.«
»Ich rasiere mich seit Jahren«, protestierte er und ich presste die Lippen aufeinander, um nicht laut loszuprusten. Luke hatte ein glattes Babyface und strohblondes Haar, was ihn jünger wirken ließ, als er war. Jetzt marschierte er unaufgefordert durch unsere Haustür, und obwohl ich versuchte, ihm den Weg zu versperren, gelang es ihm, in unsere Küche zu kommen. Er zog sich einen Stuhl heran und meinte träge: »Setz schon mal Wasser auf, Kat.«
Ich stemmte die Hände in die Hüften. »Du kannst doch nicht immer noch so tun, als ob du hier zu Hause wärst.«
Er zuckte mit den Achseln. »Warum denn nicht?«
Ich dachte gerade über einen plausiblen Grund nach, als Mum auftauchte und alles verdarb. Sie holte Lukes »speziellen« Becher aus dem Schrank und stellte die Keksdose auf den Tisch. Ich weigerte mich aber, mich zu ihm zu setzen, und sah zum zehnten Mal auf die Uhr.
»Du bist nervös, Kat«, sagte Luke, nachdem Mum wortlos wieder im Wohnzimmer verschwunden war.
»Merlin kommt gleich vorbei«, verkündete ich und versuchte, distanziert und abgeklärt zu klingen. »Wir gehen dann zu ihm. Er malt, ist sehr, sehr talentiert und hat sein eigenes Atelier.«
Luke lachte nicht, als er Merlins Namen hörte, doch ich sah ihm an, dass er es sich verkneifen musste. »Wo wohnt er denn?«
»Drüben in der Victoria Street, neben der Reitschule.«
»Ein Snob also.«
Ich schnappte nach Luft wie ein Goldfisch. »Das ist er nicht. Merlin ist ein ganz normaler Typ, auch wenn das Haus, in dem er wohnt, sehr groß ist. Und seine Mutter steckt viel Zeit und Energie in die Arbeit mit mittellosen Studenten, die bei ihr im Haus arbeiten können.«
»Wie nobel von ihr«, bemerkte Luke sarkastisch.
»Sei nicht so voreingenommen, Luke. Mum ist ohnehin überzeugt davon, dass Merlin mich zum Rauchen angestiftet hat, und jetzt hältst du ihn auch noch für überprivilegiert.«
Luke lehnte sich zurück und nahm, genüsslich schlürfend, einen großen Schluck Kaffee. »Auf die Leier vom leidenden Künstler bist du aber hoffentlich nicht reingefallen, oder? Dieser … Merlin kennt bestimmt reihenweise Mädels, deren Porträts er malt.«
Drohend kniff ich die Augen zusammen und wollte gerade zum Gegenschlag ausholen, als es an der Tür läutete. Merlin stand mit gewohnt selbstbewusster Miene auf der Türschwelle, doch es kam mir vor, als habe er sich für den Anlass in Schale geworfen, denn seine Jeans waren heute nicht verwaschen und sein Hemd sah auch gebügelt aus.Ich zog ihn ins Wohnzimmer und stellte ihn stotternd Mum vor, in der Hoffnung, Luke würde in der Küche sitzen bleiben, aber er kam ebenfalls zu uns ins Wohnzimmer. Luke taxierte Merlin, Merlin Luke. Wäre mir die gesamte Situation nicht so unangenehm gewesen, hätte ich vielleicht gelacht, weil die beiden sehr unterschiedlich waren – Luke
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