Der männliche Makel: Roman (German Edition)
Prolog
Es heißt ja, dass kein Mensch eine Insel ist, aber glauben Sie mir, Eloise Elliot war eine.
Nicht, dass sie das groß gestört hätte, schließlich legte sie auch gar keinen Wert auf soziale Kontakte.
Allerdings war es heute Abend anders.
Es war nämlich ihr dreißigster Geburtstag, und abgesehen von einigen Sachbearbeiterinnen war niemand zu dem Umtrunk gekommen.
Niemand vom Vorstand, für den sie sich krummschuftete. Niemand aus der Redaktion, Kollegen, mit denen sie nun seit drei mörderischen Jahren Seite an Seite arbeitete. Ja, nicht einmal die – sehr – wenigen Mitarbeiter, die sie zwar nicht direkt als Freunde einstufte, die aber wenigstens nicht mit Möbelstücken nach ihr warfen.
Stattdessen hatten nur zwei junge Frauen aus der Buchhaltung, gefolgt von einer neuen Praktikantin, die Köpfe zur Tür hereingesteckt. Die drei hatten sich sofort miteinander verbündet und ausführlich über die gestrige Folge von X Factor gefachsimpelt. Sie hatten sich zwar verlegen bemüht, das Geburtstagskind in ihre Unterhaltung miteinzubeziehen, Eloise hatte es allerdings nicht übers Herz gebracht, ihnen zu erklären, dass sie den Fernseher zu Hause nur einschaltete, um sich die Nachrichten auf BBC oder SKY anzuschauen, und auch das nur, um sicherzugehen, dass sie auch kein aktuelles Ereignis verpasst hatte. Immerhin waren sie ja so nett gewesen, der Einladung zu folgen.
Und so verbrachte Eloise Elliot ihren dreißigsten Geburtstag im Konferenzraum der Post damit, inmitten Tabletts voller Häppchen mit Ei und Kresse, die sich bereits an den Rändern wellten, aufgesetzten Smalltalk mit mehr oder weniger wildfremden Frauen zu betreiben. Hinzuzufügen ist, dass alle sich mit der Begründung, dass sie am nächsten Tag früh aufstehen müssten, bald verdrückten. Aller Wahrscheinlichkeit nach wollten sie in Wirklichkeit jedoch nichts wie raus, sobald der Gratisalkohol zur Neige ging.
»Möchtest du tatsächlich keinen Windbeutel mehr?«, fragte Eloise eine Blondine mit Smileygesicht, deren Namen sie nicht richtig verstanden hatte. »Ihr könnt jetzt nicht verschwinden, schaut euch nur die Mengen von Essen an! Ihr müsst mir helfen, wenigstens einen Teil davon zu vertilgen.«
»Äh«, stammelte die Blondine und warf den anderen einen hilfesuchenden Blick zu. »Tja … ich würde ja gern, aber weißt du … ich habe morgen in aller Herrgottsfrühe ein Meeting und muss wirklich los …«
»Ja, ich auch, es ist schon so spät«, stimmte ihre Freundin Isabelle ein, eine hochgewachsene Modelschönheit, an die Eloise sich vage aus der Kantine erinnerte.
»Ihr wollt doch sicher vorher noch ein Stück vom Geburtstagskuchen!«, drängte Eloise, wobei sie sich bemühte, den leicht hysterischen Unterton in ihrer Stimme zu unterdrücken. Allerdings nicht sehr erfolgreich.
»Ich kann nicht. Leider wohne ich schrecklich weit weg, und wenn ich meinen Bus verpasse …«
»Und was ist mit dir?«, wandte sich Eloise an die neue Praktikantin, die, soweit sie wusste, Susan hieß, und hielt ihr ein Vanillecremeteilchen unter die Nase.
»Oh … äh … vielen Dank«, antwortete Susan, die Einzige, die ein wenig mit Eloise mitzufühlen schien, höflich. »Aber ich muss mich wirklich sputen. Es war ein langer Tag …«
Schlacht verloren, dachte Eloise. Zeitverschwendung, sie zum Bleiben aufzufordern. Stattdessen blickte sie den dreien nach, wie sie auf ihren viel zu hohen Absätzen aus dem Büro zu den Aufzügen staksten. Ihr fiel auf, dass sie mit jedem Meter Abstand ausgelassener wurden.
»Was haltet ihr von Lanagan’s auf einen kurzen Absacker, Mädels?«, hörte sie die Blondine, die irrtümlich glaubte, weit genug entfernt zu sein, deutlich sagen. Lanagan’s war der Pub gegenüber und sehr beliebt bei allen, die nach Feierabend noch dringend einen Drink brauchten.
»Oh ja, bitte«, sagte Susan. »Ich habe mich noch nie so nach einem Gin Tonic gesehnt wie nach dieser Veranstaltung.«
»Ich dachte, sie würde uns gar nicht mehr gehen lassen.«
»Nun, wenigstens waren wir dort.«
»Wir sind eben unverbesserliche Gutmenschen und hätten uns eine Ausrede einfallen lassen sollen wie die anderen.«
Da dann der Aufzug kam, konnte Eloise den Rest nicht mehr belauschen.
Also gut, dachte sie. Das war also der Anfang eines neuen Jahrzehnts. Nur, dass es bis jetzt eher den Eindruck eines wahr gewordenen Albtraums machte.
Eigentlich hatte Eloise gar keine Lust auf eine Feier gehabt, keine Zeit, vielen Dank auch. Aber
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