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Besser

Besser

Titel: Besser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Doris Knecht
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unverdorben von dir oder deiner Anwesenheit. Du steigst vorsichtig die teppichbelegte, geschwungene Treppe hinunter, der Handlauf aus Messing kommt dir gelegen, es ist gut, dass du dich jetzt festhalten kannst. Unten zwei Türen, du gehst nach links in die Damentoilette. Es ist still, du bist allein, niemand steht an den Waschbecken, alle drei Kabinen klaffen offen. Deine Schritte hallen zu laut, als du zum großen Spiegel gehst und davor stehen bleibst. Ein neonbeleuchteter, ovaler Ausschnitt aus dem Hier und Jetzt, mit dir im Zentrum. Mit dir. Du. Das bist du. Und du siehst noch genauso aus wie vorher, du siehst gut aus, dein Lippenstift hat die richtige Farbe, nicht zu grell und nicht zu feig, deine kurzen Haare liegen heute genau richtig. Deine Hüften sind breiter jetzt, aber das hat die Vergangenheit nicht gesehen, die Vergangenheit hat nur dein Gesicht gesehen, dein neues Gesicht, deine neue Nase, deine neuen, blonden Haare über deinen neuen Augen, in denen jetzt wieder Leben ist, dein neues Leben, deine Augen, die heute mehr grün als braun glänzen. Und deine Brust, die endlich wieder weiter ist und mehr Atem einlässt. Und aus. Und ein. Du stützt dich aufs Waschbecken, es ist niedrig und beugt dir den Rücken, deine Haare fallen dir in die Augen, du streifst sie zurück hinter deine Ohren. So siehst du jetzt aus, so hat die Vergangenheit dich erwischt, so hat sie dich gesehen. Es ist in einem guten Moment passiert. Du bist es noch, das bist noch du, der Blick, den die Vergangenheit auf dich richtete, hat dich nicht verändert, nicht verletzt. Er konnte dir nichts anhaben. Diesmal nicht, nicht mehr, nie mehr. Du bist noch dieselbe, du bist immer noch die, die du geworden bist, durch deinen Willen und deine Kraft geworden bist. Die Vergangenheit hat keine Macht mehr über dich, ihr Blick und ihr Wille prallen ab an dir. Sie kennt deinen neuen Namen nicht. Geh nach Hause, es ist alles ganz normal, es ist alles gut, es ist alles besser, man sieht nichts, niemand sieht etwas.

[zur Inhaltsübersicht]
    Vier
    «Steh auf, bitte.»
    «Nein.»
    «Bitte, Mausi. Steh jetzt auf.»
    «Nein!»
    Man glaubt, wenn man einmal eine Trotzphase gesehen hat, hat man alle gesehen. Falsch. Ganz falsch.
    «Schnuckelchen, komm. Morgen haben sie wieder Schokokipferl. Koste doch einmal dieses Vanillecroissant hier. Das ist auch ganz süß. Das schmeckt super. Schau mal. Schnupper mal daran.»
    «Nein! Mag nicht Nille. Ich will Schoko!»
    Der Kleine holt aus und wischt mir das Croissant aus der Hand. Es fällt auf die Straße, in den Dreck, in die Hundekacke, und ich sag’s ganz ehrlich: Ich würde ihn jetzt gern hauen. Ich würde meinem zweijährigen Sohn jetzt gerne eine herunterhauen, hier, auf der Straße, vor dieser Bäckerei, ich würde diesem kleinen, blonden Kind, das da neben seinem Laufrad auf der Straße hockt und brüllt, jetzt gern ins rote, verzerrte Gesicht schlagen, mit Kraft. Das sollte nicht sein. Ich sollte nicht hier sein. Ich sollte in meinem Atelier sein und meine Kunst machen, allein, ungestört, unangebrüllt, ohne Gewaltphantasien.
    «Dann eben gar kein Kipferl. Und morgen auch keines. Deine Entscheidung.»
    Es ist schwer zu glauben, dass er noch lauter brüllen kann als eben, aber er kann.
    «Juri. Steh jetzt auf. Bitte, Juri. Wir müssen Elena abholen. Elena wartet schon auf uns. Komm jetzt!»
    «Nein! Nein! Nein!»
    Elena hatte das auch. Aber anders. Ich weiß auch nicht wie anders, aber es hat mich nicht halb so aggressiv gemacht. Er ist anders als Elena. Härter, schärfer, entschlossener. Und es wird schlimmer, je länger es dauert. Ich dachte, ich würde mich daran gewöhnen, aber das geschieht nicht. Es geht die meiste Zeit gut, und dann steht man auf der Straße, redet auf einen brüllenden kleinen Jungen ein und die Wut steigt in einem auf und man denkt: Während ich dieses Leben lebe, verpasse ich ein anderes. Während ich dieses Leben leben muss, verpasse ich mein richtiges. Während ich mich um dieses grauenhafte Kind hier kümmern muss, zieht irgendwo hinter einem Vorhang, hinter einer Wand, hinter den Häusern, hinter den Bergen, über dem Meer mein besseres Leben vorbei, das, das ich eigentlich hätte leben müssen. Das, das für mich vorgesehen war, das mir eigentlich zustand, für das ich auf die Welt gekommen bin, für das ich gelitten habe. Nicht für dieses hier. Dieses hier ist mir nur passiert. Nein, es ist mir nicht passiert, ich wollte es. Ich könnte Juri jetzt einfach hier liegen

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