Bestimmt fuer dich
Chefs.
Rosanna errötete. Nicht nur, weil es ihr peinlich war, dass ihr Chef tatsächlich Lars ähnelte, sondern weil seine Angewohnheit, sich von hinten anzuschleichen und dann über ihre Schulter zu grinsen, sie wahnsinnig machte.
»Tach, Herr Schaller«, sagte Kira. »Neues Rasier wasser?«
Die Dunstwolke war für Rosanna besonders schwer zu ertragen, da Schaller sich immer noch über ihre Schulter lehnte und geradezu in Kussnähe war. »Gefällt’s den Damen?«, fragte er mit breitem Grinsen.
Rosanna bemühte sich, nicht einzuatmen, und tippte hektisch auf ihrer Computertastatur herum, um sich mit einem erstickten »schon wieder abgestürzt« zwecks vorgetäuschten Kaltstarts zum Rechner hinunterbeugen zu können.
»Mögen Sie griechisch?«, fragte Kira unvermittelt. Herr Schaller richtete sich auf und machte ein paar Schritte auf sie zu, was Rosanna aufatmen ließ.
»Wieso interessiert Sie das?«, erwiderte Schaller erwartungsvoll.
»Na ja, man könnte doch mal essen gehen oder so –«
Rosanna räusperte sich laut und warf Kira einen warnenden Blick zu.
»Trockener Hals?«, fragte Schaller, dessen Aufmerksamkeit nun wieder ganz bei Rosanna war.
»Ich hol mir mal ’n Kaffee.«
»Da komm ich mit«, meinte Schaller erfreut.
»Ach, ich hab hier ja noch ein bisschen Wasser«, sagte Rosanna schnell und zog ein paar Schubladen auf, in der Hoffnung, eine Flasche zu finden.
»Herr Schaller?«, säuselte eine langbeinige, blonde Mitarbeiterin aus der Buchhaltung und spielte mit dem Anhänger, der in ihrem bewusst einen Knopf zu weit geöffneten Blusenausschnitt baumelte. »Ich brauche Sie mal ganz dringend …«
Schaller seufzte demonstrativ und setzte sich in Bewegung, zwinkerte Rosanna aber noch einmal zu und versprach, gleich wieder bei ihr zu sein. Während er mit der Blondine den Gang hinunter verschwand, warf Rosanna Kira einen vorwurfsvollen Blick zu. »Ich will mit dem Kerl nicht ausgehen!«
»Ich auch nicht, aber du siehst ja – die anderen schmeißen sich total an den ran, um ihren Job zu behalten.«
»Gibt auch andere Jobs.«
»Und wo?«
»Irgendwo.«
»Du suchst doch schon seit Monaten und findest nichts.«
Rosanna rieb sich die Schläfen. »Und wie Lars sieht der auch nicht aus.«
Kiras rechter Mundwinkel hob sich zu einem schiefen Lächeln.
»Hör auf!«, zischte Rosanna, aber jetzt hob sich auch Kiras linker Mundwinkel, und Rosanna konn te nicht anders, als mitzulachen, auch wenn ihr eigentlich gar nicht danach zumute war.
Kira hatte recht. Die Stellenanzeigen, die Rosanna Abend für Abend auf ihrem Laptop durchsuchte, richteten sich an Bewerber, die ihr möglichst kurzes bisheriges Leben ausschließlich mit Ausbildung, Fortbildung und sozialem Engagement verbracht hatten. Rosanna war zwar trotzdem zu ein paar Vorstellungsgesprächen eingeladen worden, aber man hatte sie selbst dann abgelehnt, wenn sie überzeugt gewesen war, einen hervorragenden Eindruck hinterlassen zu haben.
Die Absagen, die sie nach der Rückkehr von ihrer Arbeit entweder im Briefkasten oder auf ihrem Anrufbeantworter erwarteten, waren jedes Mal wieder wie ein Presslufthammer, der einen aus einem herrlichen Traum weckte. Wenn Rosanna anschließend beim Vertilgen ganzer Pizzas auf die Fototapete in der kleinen Zweizimmerwohnung starrte, die sie nach der Scheidung bezogen hatte, kostete es sie immer größere Kraft, sich eine Zukunft auszumalen, die besser aussah.
Rat von Familienangehörigen oder Freunden konn te Rosanna nicht einholen. Ihre Eltern lebten nicht mehr, mit ihrer älteren Schwester hatte sie sich vor Jahren entzweit. Kira meinte es zwar immer gut, war aber mit ihren sechsundzwanzig Jahren in einem anderen gedanklichen Universum unterwegs. In ihrer Zukunft war noch alles möglich, Angst fehl am Platz, Hoffnung etwas für später. Fehler hatten noch keine Konsequenzen, da sie mühelos bereinigt oder vergessen werden konnten.
Rosanna hätte in Kiras Alter auch nicht gedacht, dass zehn Jahre so viel ändern würden. Doch jetzt halfen ihr Kiras Ratschläge einfach nicht. Natürlich: Graue Haare konnten gefärbt, Falten zugeschminkt und Fettpolster abtrainiert werden. Aber die Narben, die ihre Erfahrungen hinterlassen hatten, würden bleiben und schmerzen, wann immer ihre Gefühlswetterlage das passende Klima bot. Kira konnte das noch nicht glauben – vielleicht war sie auch einfach nicht der Typ dazu. Immerhin schickte sie Rosanna in Krisenstimmungen eifrig SMS oder bot eine Schulter zum Ausweinen
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