Bestimmt fuer dich
an. Rosanna hatte Letzteres jedoch kaum in Anspruch genommen, weil sie jedes Mal gespürt hatte, dass Kira in Gedanken eigentlich schon dabei war, den weiteren Abend zu planen – meist sogar ohne sie. Was nicht böse gemeint war, sondern eher rücksichtsvoll.
Dass Rosanna sich ausgerechnet mit einer zehn Jahre jüngeren Frau angefreundet hatte, für die sie höchstens eine ältere Schwester sein konnte, war vielfältig auslegbar. Rosanna hätte jedoch immer darauf verwiesen, dass ihre Freundschaft zu Beginn einen klaren Zweck verfolgt hatte: ein Bündnis zu schaffen gegen die wachsende Mobbing-Front jener Kollegen, die sich gern in der Kaffeeküche trafen, um neueste Gerüchte brühwarm weiterzugeben oder auszuschmücken. Da Kira genauso wenig wie Rosanna Lust darauf hatte oder gut darin war, sich Gemeinheiten auszudenken und Machtstrukturen unterzuordnen, bildeten die beiden von Anfang an ein perfektes Team. Aus demselben Grund waren sie jedoch auch schnell ins Abseits gedrängt worden. Dort konnte man sich zu zweit zwar wohlfühlen, aber nicht für lange. Da sie Kiras Optimismus nicht teilte, rechnete Rosanna damit, von der nächsten Entlassungswelle endgültig davongeschwemmt zu werden.
Obwohl Rosanna grundsätzlich niemand war, der anderen gern vorstöhnte, wie schlecht es ihm ging, hätte sie sich jemanden gewünscht, der zumindest mit Blick auf den gleichen Erfahrungshorizont wie sie durchs Leben segelte. Aber ihr gleichaltriger Bekanntenkreis hatte sich in den letzten Jahren stetig verkleinert. Die meisten ihrer früheren Freunde waren Freunde von Lars gewesen und nach der Scheidung auf seiner Seite geblieben. Und die wenigen Freundinnen, die sie noch aus ihrer Schulzeit hatte, waren weggezogen oder hatten zu viel mit sich selbst zu tun. Wann immer Rosanna ihre Probleme auch nur andeutete, hatte sich ihr jeweiliges Gegenüber sichtlich verspannt, als hätte sie offenbart, an einem besonders ansteckenden Hautpilz erkrankt zu sein. Und das war nicht nur bei den Freundinnen passiert, die selbst in einer kriselnden Beziehung steckten oder schon Singles waren. Auch die glücklich Verheirateten wollten nichts von Liebeskummer und Enttäuschung hören – vielleicht weil sie davor selbst genug Angst verspürten.
So hatte Rosanna woanders Trost gesucht. In Geschichten, die von Liebesbeziehungen erzählten, die schwere Zeiten nicht nur überstanden, sondern da durch sogar noch widerstandsfähiger wurden. Geschichten, in denen die weiblichen Hauptfiguren schlagfertig waren und selbst noch in peinlichen Situationen anziehend genug, um den netten Kerl, der sie verstand und unermüdlich umgarnte, ins Bett zu kriegen. Geschichten, die zwar auch mal traurig werden durften, aber einen am Ende mit einem wunder baren Gefühl entließen: dass es vielleicht auch im wirklichen Leben Happy Ends geben konnte.
Geschichten, die diese Hoffnung nicht erfüllten, verärgerten Rosanna. Manchmal so sehr, dass sie sich in verschiedenen Internetforen einloggte und über die Unzulänglichkeiten des Autors schimpfte. Dass sie nicht das bekommen hatte, was sie wollte, nicht einmal in Gestalt eines Buchs, hatte Rosanna zuweilen zu Hasstiraden hingerissen, die ihr zwar beim Schreiben guttaten, aber später beim Lesen Angst machten. Noch schlimmer wurde es, wenn Forumsnutzer ihr widersprachen und sie sich genötigt sah, darauf zu antworten. Mit derselben Häme, die ihr entgegengeschlagen war, in der Hoffnung, so die Diskussion siegreich beenden zu können – was allerdings nie der Fall war. Natürlich gab es auch Nutzer, die Rosanna zu ihresgleichen zählten und voller Lust in dieselbe Kerbe hauten wie sie, nicht selten in GROSSBUCHSTABEN und mit hemmungslos verteilten Kraftausdrücken und Ausrufungszeichen. Obwohl sich Rosanna über den Zuspruch und die Bestätigung grundsätzlich freute, ging ihr die da hintersteckende Vereinnahmung zu weit. War sie wirklich zu einer von denen geworden? So voller Wut und Enttäuschung, dass es ihr nur noch darum ging, auf jemanden einzuprügeln und nachzutreten, auch wenn der Betreffende ihr gar nichts getan hatte, außer etwas zu sagen, was sie nicht hatte hören wollen?
Rosanna nahm das Buch mit dem schönen Umschlag wieder in die Hand. Sie versuchte, ein paar Seiten zu lesen, um sich für oder gegen den Kauf entscheiden zu können. Aber all die Gedanken, die ihr durch den Kopf gingen, machten dem Inhalt der Seiten einfach keinen Platz. So etwas war ihr in letzter Zeit ständig passiert. Rosannas
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