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Beton

Beton

Titel: Beton Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Bernhard
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Bartholdy anfangen. Und tatsächlich hatte ich immer nur mit leerem Magen eine Arbeit wie die über Mendelssohn Bartholdy anfangen können, niemals mit vollem. Wie habe ich auf die Idee kommen können, anzufangen nach dem Frühstück!, sagte ich mir. Der leere Magen ermöglicht das Denken, der volle Magen knebelt es, würgt es von vornherein ab. Ich ging in den ersten Stock hinauf, aber ich setzte mich nicht gleich an den Schreibtisch, aus einer Entfernung von etwa acht oder neun Metern, durch die offene Tür von dem Neunmeterersterstockzimmer aus, betrachtete ich den Schreibtisch, vor allem, ob auch alles auf meinem Schreibtischin Ordnung ist. Ja, es ist alles auf dem Schreibtisch in Ordnung, sagte ich mir. Alles. Ich nahm alles auf dem Schreibtisch in Augenschein, unbeweglich, unbestechlich. Ich beobachtete den Schreibtisch so lange, bis ich mich selbst an meinem Schreibtisch sozusagen von hinten sitzen sah, ich sah, wie ich mich, meiner Krankheit entsprechend, vorbeugte, um zu schreiben. Ich sah, daß ich eine krankhafte Körperhaltung habe, aber ich bin ja auch nicht gesund, ich bin ja auch durch und durch krank, sagte ich mir. So wie du da sitzt, sagte ich mir, hast du schon ein paar Seiten über Mendelssohn Bartholdy geschrieben, vielleicht schon zehn oder elf Seiten, so sitze ich am Schreibtisch, wenn ich zehn oder elf Seiten geschrieben habe, sagte ich mir. Ich rührte mich nicht und beobachtete meine Rückenhaltung. Dieser Rücken ist der Rücken meines Großvaters mütterlicherseits, dachte ich, etwa ein Jahr vor seinem Tod. Ich habe dieselbe Rückenhaltung, sagte ich mir. Unbeweglich verglich ich meinen Rücken mit dem Rücken meines Großvaters und ich dachte dabei an eine ganz bestimmte Fotografie, die nur ein Jahr vor dem Tod meines Großvaters gemacht worden ist. Der Geistesmensch ist aufeinmal zu einer solchen krankhaften Rückenhaltung gezwungen und stirbt bald darauf. Ein Jahr darauf, dachte ich. Dann war das Bild weg, ich saß nicht mehr an meinem Schreibtisch, der Schreibtisch war leer, das Blatt Papier darauf war genauso leer. Wenn ich jetzt hingehe und anfange, könnte es mir gelingen, sagte ich mir, aber ich hatte nicht den Mut, hinzugehn, ich hatte die Absicht, aber nicht die Kraft dazu, weder die Körperkraft, noch die Geisteskraft. Ich stand da und schaute durch die Tür auf den Schreibtisch und fragte mich, wann der Moment da sei, an den Schreibtisch zu treten und mich hinzusetzen und mit der Arbeit anzufangen. Ich horchte, aber ich hörte nichts. Obwohl die Nachbarn unmittelbar um das meinige ihre Häuser haben, war nichts zu hören. Als ob in diesem Augenblick alles tot gewesen wäre. Plötzlich war mir dieser Zustand angenehm und ichversuchte, ihn solange als möglich in die Länge zu ziehen. Mehrere Minuten hatte ich diesen Zustand in die Länge ziehen und genießen können, die Vorstellung und die Gewißheit, daß alles tot ist um mich herum. Dann aufeinmal: du gehst an den Schreibtisch und setzt dich hin und schreibst den ersten Satz deiner Studie auf. Nicht mit Behutsamkeit, mit Entschiedenheit!, sagte ich mir. Aber ich hatte nicht die Kraft dazu. Ich stand da und getraute mich kaum zu atmen. Setz’ ich mich hin, gibt es sofort eine Störung, einen unvorhergesehenen Zwischenfall, jemand klopft an die Tür, ein Nachbar schreit, der Briefträger verlangt meine Unterschrift. Du mußt dich ganz einfach hinsetzen und anfangen, ohne nachzudenken, wie im Schlaf mußt du den ersten Satz zu Papier bringen undsofort. Am Abend, während ich noch mit meiner Schwester zusammen war, hatte ich die Sicherheit, in der Frühe, wenn sie endgültig abgereist ist, mit meiner Arbeit anfangen zu können, von den vielen in Betracht gezogenen ersten Sätzen meiner Mendelssohn-Bartholdy-Arbeit dann ganz einfach den einzigen möglichen und dadurch richtigen auf das Papier zu setzen und die Arbeit voranzutreiben, rücksichtslos, weiter und weiter. Ist erst einmal meine Schwester aus dem Haus, kann ich anfangen, habe ich mir immer wieder gesagt und wieder einmal den Sieg davongetragen. Ist der Unmensch aus dem Haus, entsteht meine Arbeit von selbst, mache ich alle auf diese Arbeit bezogenen Ideen zu einer einzigen, zu meinem Werk. Aber jetzt war meine Schwester schon weit über vierundzwanzig Stunden aus dem Haus und ich war weiter denn je davon entfernt, mit meiner Arbeit anfangen zu können. Sie, meine Vernichterin, hatte mich noch immer in ihrer Gewalt. Sie lenkte meine Schritte und verfinsterte gleichzeitig

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