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Beton

Beton

Titel: Beton Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Bernhard
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meiner Arbeit über Mendelssohn lautet, eingenickt sein; als ich erschrocken aufwachte, war es fünf Uhr. Ich hatte um vier Uhr mit meiner Arbeit anfangen wollen, jetzt war es fünf, über diese unvorhergesehene Nachlässigkeit, besser noch Disziplinlosigkeit, meinerseits, war ich erschrocken. Ich stand auf und wickelte mich in die Decke, in die von meinem Großvater mütterlicherseits ererbte Pferdedecke, ich sc

hnürte die Decke mit dem Ledergurt, den ich genauso wie die Decke von meinem Großvater geerbt habe, so fest als möglich zu, so fest, daß ich gerade noch atmen konnte und setzte mich an den Schreibtisch. Naturgemäß war die Finsternis noch die größte. Ich vergewisserte mich, ob ich auch tatsächlich allein im Hause bin, außer meinem eigenen Pulsschlag hörte ich nichts. Mit einem Glas Wasser schluckte ich die mir von meinem Internisten vorgeschriebenen vier Prednisolontabletten und glättete das Papierblatt, das ich vor mich hingelegt hatte. Ich werde mich beruhigen und anfangen, sagte ich mir. Immer wieder sagte ich mir, ich werde mich beruhigen und anfangen, aber als ich es an die hundertmal gesagt hatte und ganz einfach nicht mehr hatte aufhören können, das zu sagen, gab ich auf. Mein Versuch war mißlungen. In der Morgendämmerung war es mir nicht mehr möglich, mit meiner Arbeit anzufangen. Das Tageslicht zerstörte endgültig meine Hoffnung. Ich stand auf und verließ fluchtartig meinen Schreibtisch. Ich ging ins Vorhaus hinunter, weil ich glaubte, mich da, in der Kälte, zu beruhigen, denn ich war, über eine ganzeStunde am Schreibtisch sitzend, in eine mich beinahe wahnsinnig machende Erregung hineingekommen, in eine solche nicht nur von meiner Geistesangespanntheit, sondern auch von den Prednisolontabletten hervorgerufenen Erregung, die ich gefürchtet hatte. Ich preßte beide Handflächen an die kalte Mauer, eine schon oft bewährte Methode, dieser Erregung Herr zu werden und beruhigte mich tatsächlich. Ich war mir bewußt, daß ich mich einem Thema ausgeliefert habe, das mich möglicherweise vernichten wird, aber ich hatte doch geglaubt, wenigstens den Anfang meiner Arbeit machen zu können an diesem Morgen. Ich hatte mich getäuscht, obwohl sie gar nicht mehr da war, fühlte ich doch an allen Ecken und Enden des Hauses noch meine Schwester, welche das geistfeindlichste Wesen ist, das sich denken läßt. Allein der Gedanke an sie, macht alles Denken in mir zunichte, hat immer alles Denken in mir zunichte gemacht, hat alle meine Geistespläne im Keim erstickt. Sie ist längst fort und beherrscht mich noch immer, dachte ich, meine Hände fest an die kalte Vorhausmauer drückend. Schließlich hatte ich die Kraft, meine Hände von der kalten Vorhausmauer zurückzuziehen und ein paar Schritte zu gehen. Auch in dem Vorhaben, über Jenufa etwas zu schreiben, war ich gescheitert, das war Ende Oktober, kurz bevor meine Schwester ins Haus gekommen ist, sagte ich mir, jetzt scheitere ich auch an Mendelssohn Bartholdy und ich scheitere sogar jetzt, wo meine Schwester gar nicht mehr da ist. Selbst die Skizze Über Schönberg habe ich nicht zuende gebracht, sie hat sie mir vernichtet, sie hat sie mir zuerst zerstört und dann endgültig vernichtet, indem sie genau in dem Augenblick in mein Zimmer eingetreten ist, in welchem ich glaubte, die Skizze zuende schreiben zu können. Aber gegen einen solchen Menschen wie meine Schwester, der so stark und gleichzeitig so geistfeindlich ist, kann man sich nicht wehren, er kommt und vernichtet, was der Kopf sich in monatelanger wahnsinniger Gedächtnisanstrengung, ja Gedächtnis über anstrengung ausgedacht hat, sei es, was eswolle, sei es die kleinste Skizze über den kleinsten Gegenstand. Und nichts ist so zerbrechlich wie die Musik, welcher ich mich tatsächlich in den letzten Jahren ausgeliefert habe, zuerst hatte ich mich der praktischen Musik ausgeliefert, dann der theoretischen, zuerst die praktische bis zum Äußersten praktiziert, dann die theoretische, aber meine Schwester und alle ihr ähnlichen Menschen, deren Unverständnis mich Tag und Nacht verfolgt, hat alle meine Pläne zunichte gemacht, Jenufa hat sie mir zerstört, Moses und Aron , meine Schrift Über Rubinstein , meine Arbeit über Die Six , überhaupt alles und jedes, das mir heilig gewesen ist. Es ist furchtbar, kaum bin ich zu einer musikalischen Geistesarbeit fähig, taucht meine Schwester auf und zerstört sie mir. Als ob sie alles darauf richtete, meine Geistesarbeit zu zerstören. Als

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