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Beton

Beton

Titel: Beton Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Bernhard
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Besuch ausgesprochenen Bemerkung recht. Sie war aufgetaucht und hatte meine Arbeit und am Ende mich selbst beinahe ruiniert. Die Frauen tauchen auf und klammern sich an einen und ruinieren einen. Aber hatte ich sie nicht gerufen? Hatte ich ihr nicht den Vorschlag gemacht, nach Peiskam zu kommen, auf ein paar Tage? Ich hatte ihr ein Telegramm geschickt, in welchem ich sie aufgefordert habe, nach Peiskam zu kommen. Auf ein paar Tage allerdings nur, nicht auf Monate. Wie weit war ich gekommen, daß ich ihr telegrafiert habe! Tatsächlich erhoffte ich von ihr eine Hilfestellung, nicht meine Zerstörung. Aber es ist immer das gleiche: ich erbitte, ich erflehe geradezu eine Hilfestellung von ihr und sie ruiniert mich! Und obwohl ich das weiß, habe ich ihr wieder telegrafiert, zum hundertstenmal habe ich meine Zerstörerin ins Haus geholt. Es ist wahr, ich habe um ihre Hilfe telegrafiert, es ist unwahr, daß sie gänzlich unaufgefordert nach Peiskam gekommen ist. Die Wahrheit ist doch immer die fürchterlichste, aber es ist doch besser, sich immer wieder an die Wahrheit zu halten, als an die Lüge, an die Selbstbelügung. Aber ich hatte ihr nicht telegrafiert, daß sie monatelang bleiben solle, denn monatelang meine Schwester in meinem Haus, das ist die Hölle und ich habe ihr das auch gesagt, ich habe gesagt, wenn du monatelang da bist, ist es die Hölle, worauf sie gelacht hat. Mein lieberkleiner Bruder, hat sie gesagt, du wärst ja verkommen, wenn ich dich so bald wieder alleingelassen hätte, du hättest möglicherweise nicht einmal überlebt. Darauf schwieg ich, vielleicht weil es mir in diesem Augenblick zu Bewußtsein gekommen war, daß sie recht hatte. Aber was nützt es jetzt, mir meinen Kopf darüber zu zerbrechen, ob ich sie herbeigeholt habe oder nicht, was ja schließlich geklärt ist, die Tatsache ist ja doch, daß sie in dem Augenblick, in welchem ich imstande gewesen war, mit meiner Arbeit über Mendelssohn Bartholdy anzufangen, hätte abreisen sollen, aus Peiskam verschwinden! Aber ein solcher Mensch wie meine Schwester hat kein so feines Ohr für einen solchen Augenblick. Und ich selbst getraute mich naturgemäß nicht, ihr zu sagen, daß der Augenblick, in welchem ich die Studie oder was immer über Mendelssohn, ja doch an die hundertfünfzig Seiten wahrscheinlich oder noch mehr, zu schreiben in der Lage bin, da ist und sie verschwinden solle. So haßte ich sie aufeinmal und sie wußte wahrscheinlich gar nicht, warum, und verfluchte sie und verpaßte so die Gelegenheit, mit der Arbeit über Mendelssohn Bartholdy anzufangen. Aber wahrscheinlich hatte ich mich geschämt, ihr klarzumachen, daß ich sie nur wegen dieser noch nicht angefangenen Arbeit nach Peiskam hatte kommen lassen, also sozusagen als ganz und gar primitives Hilfsmittel für mein Geistesprodukt zu mißbrauchen, durchaus imstande sei. Der sogenannte Geistesmensch geht ja immer wieder über einen Menschen, den er dafür getötet und also zur Leiche gemacht hat für seinen Geisteszweck. Im entscheidenden Augenblick hätte ein solcher sogenannter Geistesmensch ohne weiteres einen Menschen, der ihm ein solches Geistesprodukt ermöglicht, für dieses Geistesprodukt geopfert, zutode mißbraucht in seiner teuflischen Spekulation. So hatte ich gedacht, meine Schwester für mein Geistesprodukt mißbrauchen zu können, aber meine Rechnung war nicht aufgegangen. Im Gegenteil, hatte ich die größte Dummheit begangen, indem ich meiner Schwester nach Wien telegrafierthabe: komm auf ein paar Tage! Es stellte sich heraus, daß sie selbst ohne meine Aufforderung genau an demselben Tag nach Peiskam gekommen wäre, weil ihr Wien zum Hals heraus hing, plötzlich hatten ihr die fortwährenden Gesellschaften, alle diese haarsträubend stumpfsinnigen Leute den Ekel verursacht, den sie, weil sie diese Gesellschaften bis auf die Spitze getrieben hatte in den letzten Monaten, verdiente. Ich griff mich an den Kopf, bei dem Gedanken, daß ich mir mein Telegramm hätte sparen können, denn ohne mein Telegramm hätte ich wahrscheinlich ohne weiteres den Mut gehabt, ihr nach ein paar Tagen zu sagen, daß sie jetzt wieder verschwinden solle. So aber hatte ich, weil ich sie ja nach Peiskam gebeten hatte, diesen Mut nicht, es wäre ja auch eine Unverschämtheit ohnegleichen gewesen, sie herzubitten und dann auch gleich wieder aus dem Haus zu werfen. Im übrigen kenne ich sie zu gut, als daß ich nicht wüßte, daß sie, wenn ich ihr gesagt hätte, daß sie verschwinden

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