Betreutes Wohnen: Ein WG-Roman (German Edition)
jemand »Die Kassierer« aufgelegt hatte. Und dazu tanze der Mann von Welt unten ohne, erklärte Matthes und sah auf primatenhafte Weise glücklich dabei aus. Und weil Tante Matthes zu solchen Gelegenheiten ein Bild grinsender Seligkeit abgibt, nimmt niemand Anstoß an seinen zivilisatorischen Defiziten. Es ist halt seine Art, Freude zu zeigen, finden die Leute und haben vielleicht Recht.
Tante Matthes ist halt ein Bonobo, finde ich und habe in jedem Fall recht.
Ich sei total verklemmt, findet wiederum der Bonobo und vielleicht ist sogar diese These einen Gedanken wert.
»Deswegen ist dein Leben auch viel komplizierter als meins«, sprach also der weise Affe zu mir, als schließlich genug getrunken und getanzt war, und bettete den Kopf der schlafenden Marie von seinem Oberschenkel auf ein Kissen. »Weil du nämlich vollkommen gehemmt bist.«
Ich wollte widersprechen, sah mich aber außerstande, mit einem Mann ohne Unterhose über Hemmungen zu reden, und als Tante Matthes endlich wieder seine Hose angezogen hatte, wachte Marie auf und platzte damit mitten in ein Thema, das ich für den Erstkontakt nie und nimmer ausgewählt hätte, und deswegen schwieg ich weiterhin. Und da es auch sonst nichts mehr zu sagen gab, wandte sich Matthes schließlich zum Gehen.
»Wart mal, ich komme mit«, sagte Marie und folgte Tante Matthes zur Tür. Der reichte ihr höflich den Arm, und während ich nicht umhinkam, zu beobachten, wie Maries Hintern zurück in die Jeans rutschte, grinste Tante Matthes mich an.
»Rechts ’ne Pappel, links ’ne Pappel, in der Mitte Pferdeappel. Guck dich doch mal an«, hinterließ mir das infame Tier als Ratschlag, und weil ein ungnädiger Inneneinrichter vis-à-vis einen Spiegel montiert hatte, musste ich sogar. Ich sah mich einsam in einem wogenden Meer aus Altglas und Aschenbechern sitzen, links eine Yuccapalme, rechts ein knutschendes Pärchen. Sonst war niemand mehr da.
Pah, sagte ich zur Yuccapalme. Hemmungen? Das wollen wir doch mal sehen!
Die Yuccapalme schwieg. Denn das tun diese Biester ja immer, wenn man sie mal braucht. Aber wenn ich jetzt zurückdenke, meine ich, sie habe ganz sacht den Schopf geschüttelt, als ich ihr meinen Plan erklärte.
»Es wird ein Eindruck geschunden werden von allerhöchster Kajüte bzw. von mir«, hatte ich meine Predigt zu den Palmen geschlossen. Und deswegen stehe ich jetzt mit nichts als einem Bademantel bekleidet in einem Atelier und werde von gierigen Augen belauert, die in Wahrheit mäßig begabten Malschülern gehören, die ihre Griffel spitzen und sich nicht die Bohne für mich interessieren. Doch vor mir erhebt sich mannshoch und düster drohend wie ein Richtblock das Aktmodellpodest, das in Wirklichkeit gerade mal kniehoch und weißgetüncht ist. Aber das kennt man ja: Ein kleiner Schritt für die Menschheit, ein riesengroßer, wenn man ihn selbst tun muss.
Ich soll da nämlich gleich rauf, und zwar ohne Bademantel. Nicht mal die Sonnenbrille darf ich anlassen und den falschen Bart habe ich zu Hause gelassen, weil er nicht zu meiner Haarfarbe gepasst hat.
An den Wänden prangen die Werke der letzten Sitzungen, sie sind von unterschiedlicher Qualität, zeigen aber alle klar und deutlich einen selbstverliebten Bonobo, der mich sogar von jenen Blättern feixend angrinst, auf denen die Zeichner ihm gar kein Gesicht gegeben haben.
»Dann wollen wir mal«, sagt der Kursleiter. Er heißt Musa al-Shukri und musste aus dem Irak fliehen, weil ihm ein Saddam-Porträt zu korpulent geraten war. Weil er in Moskau studiert hat, malt er am liebsten großformatige Schlachtengemälde in Öl, die sich hierzulande aber nicht gut verkaufen. Eigentlich gar nicht, sagt er. An der Wand lehnt ein halbfertiger, fünf Meter breiter Mongolensturm, den garantiert auch niemand kaufen wird, weil man in der Größe keine Sofagarnitur zum Drunterstellen bekommt. Kein Wunder, dass Musa Kurse geben muss.
Das alles hat er mir im Vorstellungsgespräch erzählt, das eher ein Vorstellungsmonolog war, denn ich habe bloß genickt, Tee getrunken und die Figuren auf der Leinwand gezählt. Bei hundertdreiundzwanzig hatte ich den Job. Fünfzig Mark pro Sitzung.
»Dann wollen wir mal«, wiederholt sich Musa.
»Ja, dann wollen wir mal«, antworte ich und gieße mir noch einen Tee ein, um Zeit zu schinden. »Der ist aber lecker, der Tee. Was ist das für einer?«
»Aufgeregt«, seufzt Musa, meint aber nicht die Teesorte, und eine Frage war es auch nicht.
»Nö«, sage ich trotzdem,
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