Betreutes Wohnen: Ein WG-Roman (German Edition)
Narrenschiff, das Hieronymus Bosch nicht dämonischer hätte skizzieren können. Horstis Stimme wird schriller, er fuchtelt wie ein Wanderprediger mit dem Zeigefinger in der Luft herum, während aus den freundlichen Tierfiguren anthropomorphe Monstren werden. Wenn ich ihn richtig verstehe, was zunehmend schwieriger wird, weil Horsti ziemlich belfert, dann werden diese Kreaturen zu allem Überfluss von Dämonen gepeinigt, die im Weltall wohnen.
Horsti entwickelt da eine hochinteressante, wenn auch erschreckend unwirtliche Privatmythologie, die eigentlich zu denselben Schlüssen kommt wie H. P. Lovecraft, nur eben wesentlich schneller und mit weniger Adjektiven. Bei Horsti sind es auch keine interessanten Gedankenexperimente, sondern tatsächlich Berge des Wahnsinns, deren Spitzen aber nur ganz gelegentlich durch die watteweiche Wolkendecke des Käpt’n Alltagshorsti stoßen.
Jetzt finden die Leute ihn nur noch seltsam, bloß ich finde es immer noch interessant.
Mütter ziehen ihre Kinder weg, die eben noch glucksend dem seltsamen Mann zugehört hatten. Horsti steht einsam auf seiner Bank und brüllt spuckend und schäumend seine psychische Störung heraus.
Ich würde zwar gerne noch ein wenig zuhören, aber trotzdem sollte jemand etwas tun. Die Zuschauer sind zurückgewichen und schauen entweder demonstrativ in eine andere Richtung oder sich gegenseitig an, damit jemand die Verantwortung für diesen Irren übernimmt.
Das wäre jetzt mein Einsatz.
Ich bin aber nicht so gut in diesen Dingen. Ich stehe lieber am Rand und schaue mir Sachen an. Wenn man sich einmischt, wird es ja meist noch komplizierter, und irgendwann steht man zusammen auf der Brücke. Ich wüsste zum Beispiel auch gar nicht, was ich zu Horsti sagen sollte.
So, Horsti, jetzt genug bescheuert gewesen, Zeit zum Mittagessen? Das kann man doch nicht sagen.
Super, Horsti, wird alles wieder gut, war nur ein böser Traum? Geht auch nicht.
Alles klar, Horsti, ich verstehe dich mit jeder Faser meines Herzens? Wohl kaum. Ich habe nicht die geringste Ahnung, was in dem Mann vorgeht, ich habe ohnehin nicht die geringste Ahnung, was überhaupt in irgendeinem Menschen vorgeht.
Ich könnte mich einfach zu Horsti auf die Bank stellen und mit ihm zusammen brüllen, bis sie uns beide abholen, aber das ist ja auch keine Lösung. Ich habe außerdem nichts gegen Affen, und aus dem Lovecraft-Alter bin ich eigentlich auch raus.
Ein paar Angestellte des Zoos nähern sich, jemand hat sie verständigt, weil ein Verrückter die Affen beschimpft. Das wäre jetzt ganz dringend mein Einsatz. Ich fasse mir ein Herz, trete aus dem Schatten des Baumes heraus und fahnde nach einer Strategie, wie ich Horsti beruhigen könnte.
»Hey«, sagt da ein Mädchen zu Horsti, doch der beachtet sie gar nicht, sondern schleudert den Affen und dem Universum weiterhin wüste Flüche entgegen.
»Hey«, sagt sie noch einmal und zupft ihm am Ärmel. »Hör auf, das nervt.«
Horsti schaut auf sie herunter. Er wischt sich mit der Hand durch das Gesicht und sagt dann: »Tut mir leid.«
»Kein Problem«, sagt das Mädchen und geht. Horsti setzt sich umstandslos auf die Bank, packt eine Stulle aus der Tasche und isst sie. Die Zoowärter schauen kurz misstrauisch, drehen dann aber bei. Horstis ehemalige Zuschauer haben sich anderen Attraktionen zugewandt: Zwei Affen haben angefangen zu ficken.
Was war das denn bitte? Hör auf, das nervt? Damit kann man doch keinem kommen, der gerade noch seinen Irrsinn in die Welt geschrien hat, weil ihn so eine erfundene Affengeschichte aus Versehen in die Untiefen der eigenen Seele geführt hat. Das ist doch eine hochkomplexe Situation, da muss man doch etwas wesentlich Klügeres sagen.
Bis mir etwas Klügeres einfällt, lasse ich Horsti noch ein wenig auf seiner Bank sitzen, er wirkt jetzt ganz friedlich und schaut den Affen zu. Einige Wochen später wird er ein Bild dieser beiden fickenden Affen malen, sie hocken auf einem Schiff und darüber schwebt eine Wolke, auf der die Affenmutter thront, während aus dem Meer Kraken und Haie ihre Häupter recken und von den Bildrändern finstere Augen aus dunklen Wolken das Geschehen überblicken. Zu Horstis erster Ausstellung wird Musa al-Shukri eine Rede über dieses Bild halten. Es geht darin um Erlösung, Kunst und die notwendige Überbetonung des Ausdruckshaften in derselben. Ich habe Horsti den Text der Rede mal vorgelesen, weil wir an diesem Abend beide zu aufgeregt waren, um zuzuhören. Er hat genickt und
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