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Betreutes Wohnen: Ein WG-Roman (German Edition)

Betreutes Wohnen: Ein WG-Roman (German Edition)

Titel: Betreutes Wohnen: Ein WG-Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Bartel
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denn machen?«, frage ich weiter, und Günther nickt weiter.
    »Vielleicht Klorollen mit Zwiebel und Autoquartett?« frage ich, und Günther nickt schon wieder, weil er halt ein Außerirdischer ist – für ihn hört sich das alles gleich lecker an.
    Günther packt sich einige Leerkassetten ein, die er beim Kochen gerne hört, obwohl es ihn nicht stört, wenn ich dabei das Radio laufen lasse, und geht schon mal Richtung Küche vor.
    Ich gucke in Günthers Zimmer noch eben die Nachrichten und überhole ihn dann im Flur, wo er eine kleine Popelpause eingelegt hatte. Dafür, dass Günther aus einer fernen Galaxie stammt, ist er verdammt langsam unterwegs, aber wahrscheinlich wirkt die Schwerkraft bei ihm anders. Ich spiele im Wohnzimmer noch eine Partie Uno mit Horsti und treffe dann zeitgleich mit Günther in der Küche ein.
    Wir müssen dann auch mal loslegen, sage ich – in dreieinhalb Stunden ist Abendessen und Günther soll bis dahin eine Zwiebel kleingeschnitten haben. Er tut das sehr gerne, aber meist gibt es die Zwiebel zum Nachtisch, weil Günther erst dann mit Schneiden fertig ist, trotzdem besteht er jedes Mal drauf.
    Wenn dienstags keine Zwiebeln im Haus sind, legt sich Günther sofort ins Bett, starrt die Wand an und geht am nächsten Tag nicht arbeiten.
    Das ganze Behindertenbusiness ist so ein hochsensibles Ökosystem mit ellenlangen Interdependenzketten, und wenn nur ein winziges Detail verändert wird, gerät alles aus den Fugen, denn wenn z. B. Günther wegen der fehlenden Zwiebel am nächsten Tag nicht arbeiten gehen kann, ärgert sich seine Kollegin Annika aus der Behindertenwerkstatt darüber, lässt das in der Mittagspause an Traudchen aus, worauf Traudchen heimlich ihre Sachen packt und zu ihrer Lieblingsoma fahren will, um sich trösten zu lassen, obwohl sie vergessen hat, wo diese Lieblingsoma wohnt, die überdies vor zwölf Jahren verstorben ist, was Traudchen natürlich ebenfalls vergessen hat, und fünf Stunden später kommt dann ein Anruf von der Polizei, dass eine verwirrte Person abzuholen sei, die auf den Namen »Traudchen« hört und in einem gelben Haus mit roten Fenstern wohnt, bei dem die Frau Bernau Chef von ist.
    Und das alles wegen einer Zwiebel, muss man sich mal vorstellen. Seitdem bringe ich dienstags sicherheitshalber immer selber eine mit.
    Erst legt Günther meine Zwiebel ganz vorsichtig auf das Brettchen und lächelt sie liebevoll an, bis ich sage, dass er jetzt mit dem Schälen anfangen kann. Neulich habe ich ausprobiert, was passiert, wenn ich nichts sage. Er hat die Zwiebel zwei Stunden lang freundlich angeguckt und dann versucht, das Usambara-Veilchen auf der Fensterbank in kleine Stücke zu hacken, weil es neben dem Schnittlauch stand.
    Einmal hat Günther es sogar geschafft, den unteren Teil seines Gebisses in einer Lasagne zu verstecken. Honorarkraft Andi sagt, dass Günther dabei einen alten Echsen-Trick verwendet und sich so langsam bewegt habe, dass man die Bewegungen mit bloßem Auge gar nicht mehr habe wahrnehmen können. Wahrscheinlicher ist aber, dass den beiden bloß langweilig war und sie sich gedacht haben: »Na, lassen wir es drin, wird schon jemand finden«, und so ist es dann ja auch gekommen.
    Gerade steht Günther auf und sucht in der Schublade nach dem Messerchen mit dem roten Griff, denn wenn das nicht da ist, ist die Sache gelaufen und man muss alleine kochen.
    Heute haben wir Glück, das Messer ist da, und während ich die Spülmaschine ausräume, die Küche fege und Salat putze, seziert Günther hochkonzentriert seine Zwiebel. Immer wenn er eine Scheibe abgeschnitten hat, hält er sie gegen das Licht und schaut sie genau an, dann legt er sie zur Seite und macht erst mal Päuschen.
    Wir kommen gut voran und Günther schafft womöglich heute zwei Zwiebeln, aber als die Nudelsoße schon fertig auf dem Herd steht, klingelt es plötzlich. Ich rufe nach Horsti, damit der aufmacht, aber er ist schon zur Pommesbude gegangen, und die anderen sind noch in der Werkstatt.
    Günther lächelt mich an und aus seinen kleinen, wässrig blauen Augen blitzt mir Unternehmungslust entgegen.
    Wenn ich ihn jetzt alleine in der Küche lasse, schüttet er todsicher wieder irgendwas ins Essen, und zur Tür mitnehmen kann ich ihn nicht, weil das zu lange dauern würde, also nehme ich den Topf mit zur Tür.
    »Mach auf!« plärrt die Gegensprechanlage. »Hier ist dat Annika.«
    Kurz danach höre ich es in der Küche rumpeln, sage »Moment mal« zu Annika und gehe nachgucken.

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