Betreutes Wohnen: Ein WG-Roman (German Edition)
Oma Wittrich reden, der man recht eindringlich einen Platz im Seniorenheim ans Herz gelegt haben wird. »Das macht die nie«, wird Matthes sagen, aber da irrt er sich, weil er nicht weiß, wie müde und einsam sie wirklich ist.
Und schließlich wird sich Tante Matthes nach allen Regeln der Kunst aufplustern, als der Mann, dessen kühnes Ränkespiel mich vor Galgen, Verderben und Entehrung gerettet hat.
»Ohne mich …«, wird er sagen, »… ohne mich wärst du doch im Gefängnis gelandet. Wegen illegaler Betäubung alter Damen mit Todesfolge oder so.« Und ich werde Tante Matthes gewähren lassen müssen, denn es stimmt ja.
Ein Arzt kommt herein. »Na, wie geht’s uns denn?«, fragt er, weil er halt Arzt ist.
»Supi«, sagt Matthes.
»Ich bin verwirrt«, sage ich.
Oma Wittrich sagt nichts, sie schnarcht bloß.
»Na, das sieht ja ganz gut aus«, findet er trotzdem und fummelt am Tropf herum.
Ich gucke den Arzt auffordernd an. Er schüttelt den Kopf.
»Wir haben das nachgeprüft. Wir haben reichlich Alkohol gefunden, ein Herzmedikament, sonst nichts. Die Frau ist für ihr Alter noch ganz fit, das Blut ist jedenfalls ziemlich in Ordnung.«
»Und bei mir?«
»Junger Freund, so glauben Sie mir doch endlich. Was immer Sie da versehentlich eingenommen zu haben glauben, LSD war es jedenfalls nicht. Und ich rate Ihnen ganz freundschaftlich, die Sache damit auf sich beruhen zu lassen.«
Das »versehentlich« hat er mit Gänsefüßchen ausgestattet, die er in die Luft gemalt hat, und deswegen beschließe ich, seinem Rat ganz dringend zu folgen.
Tante Matthes verabschiedet sich, er muss Priscilla zum Flughafen bringen, ihre Europatournee ist endgültig vorbei. Ich bleibe an Oma Wittrichs Bett sitzen, weil ich da sein will, wenn sie aufwacht.
Das bin ich ihr schuldig.
Außerdem will ich wissen, ob sie ihren Helmut getroffen hat.
Der Autor
Christian Bartel, geboren 1973, ist Mitglied mehrerer Lesebühnen und wurde 2005 deutscher Vize-Meister im Poetry Slam; außerdem schreibt er regelmäßig Satiren für die »taz«. Er lebt mal auf dieser, mal auf jener Rheinseite, aber immer in Bonn.
Das Buch
Eine Behinderten-WG in der Nähe von Köln: Der erste Tag stellt für jeden neuen Zivi eine Herausforderung dar. Die Bewohner versuchen mit allen Mitteln, den Neuankömmling für ihre Zwecke einzuspannen. »Käpt’n Horsti« stellt sich als Leiter der WG vor und macht den neuen Zivi mit seinen Hauptaufgaben vertraut, die in erster Linie darin bestehen, Schlagerplatten zu hören und Wrestling-Videos zu gucken. Milva hält Zivis grundsätzlich für ihre persönlichen Arbeitssklaven, die hinter ihr aufräumen und sie mit Süßigkeiten versorgen sollen. Und dann gibt es da noch Günther, den ruhigen Beobachter mit philosophischer Tiefe, der gerne Kekse anlächelt und zum Schälen einer Zwiebel acht Stunden braucht … Ein wunderbarer Roman über die Schrägheiten und Weisheiten, die das Betreuerleben so interessant machen.
»Eine ausgesprochen witzige, schräge, sehr wahrhaftige Auseinandersetzung über Männlichkeit, Normen und Beziehungen.«
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Dieser Roman erschien 2011 unter dem Titel
Zivildienstroman
im Carlsen Verlag
Ungekürzte Ausgabe im Ullstein Taschenbuch
1. Auflage Januar 2013
© Christian Bartel/Carlsen Verlag GmbH, Hamburg 2011
Umschlaggestaltung: Zero Werbeagentur, München
Titelabbildung: © plainpicture / Till Melchior
Satz: Dörlemann Satz, Lemförde
eBook-Produktion: GGP Media GmbH , Pößneck
ISBN 978-3-8437-0373-4
1 Wir sitzen in Tante Matthes’ grünem Trabantenkombi, lutschen auf unseren Papierfetzen herum und mir kommen ernsthafte Zweifel, ob ich wirklich auf LSD zur Abi-Zeugnisverleihung gehen sollte. Dabei hatte das gestern Abend noch wie eine gute Idee geklungen, aber jetzt natürlich: Fracksausen.
Ich sehe Tante Matthes’ Augen im Innenspiegel und in ihnen nicht den geringsten Zweifel, aber Matthes hat eh abgebrochen und bekommt heute kein Zeugnis, außerdem ist er noch breit von gestern oder vorgestern, so genau weiß man das bei ihm nie.
Tante Matthes zündet sich eine Zigarette an, lehnt den Kopf zurück und schickt mir sein aufmunterndes Bauerngrinsen über den Spiegel. »He«, sagt er, und dann: »Aber genau, he«, weil Hans Söllner
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