Betreutes Wohnen: Ein WG-Roman (German Edition)
Besuch.«
Ich wende mich wieder meinen Beinen zu, die inzwischen zu mir zurückgekehrt sind. Sie wollen liebkost werden, und meine Unterschenkel zucken recht lustig unter den Berührungen.
»Ruhig«, rede ich ihnen sanft zu, tätschele noch einmal ihre Flanken und schwinge mich dann auf sie. Zuerst etwas wacklig, aber dann immer sicherer, tragen sie mich quer durch den Raum, der mir auf einmal albern und nutzlos erscheint. Dies ist kein Ort für mich und meine Beine.
Hier wohnt das Glück nicht, beschließen wir, und deswegen treten wir hinaus in die Steppe, die sich endlos zwischen Spülbecken und dem weiß lackierten Buffetschrank erstreckt.
Kaum werden die Beine des wogenden Grasmeers ansichtig, galoppieren sie los, ich kann mich kaum auf ihnen halten, werde wohl hie und da abgeworfen, aber schließlich finden wir einen gemeinsamen Rhythmus und preschen ungestüm voran.
Hoch über uns zieht Oma Wittrich ihre ruhigen Bahnen, ihr Ruf schallt leise zu mir herunter, entfernt sich dann aber immer weiter. Sie ruft noch einmal »Spiegelei«, ich winke ihr nach, und schließlich entschwindet sie ganz in ihre eigene Welt.
Nach einem halben Tagesritt machen wir Rast an einem Fluss, ich lasse meine Beine saufen und mich neben sie ins Gras fallen.
»Heiopei.«
»Pissnelke.«
»Arschgeburt.«
Es ist eine unbekannte Stimme, die mich dergestalt hinterrücks anspricht. Aber die Stimme sagt die Wahrheit, das spüre ich, auch wenn ich den Sinn ihrer Worte nicht ermessen kann.
Ich drehe mich um und erblicke einen kleinen Mann mit leicht geschlitzten Augen. Er trägt ein härenes Wams und grobe Fellstiefel, auch seine Mütze ist aus Fell, aber aus einem seidigeren als die Stiefel. Es ist eine herrliche Mütze, ich möchte sie berühren, aber der kleine Mann wehrt sich.
»Finger weg«, sagt er und haut mich mit einem kleinen Plastikschwert.
Jetzt erst erkenne ich den Mann. Es ist Günther. Aber er hat sich als Mongole verkleidet.
»Günther«, sage ich. »Endlich sprichst du mit mir.«
Günther verdreht die Augen. Er wirkt verstimmt.
»Du hast schöne Kleidung an«, sage ich zu Günther, weil ich ihn versöhnlich stimmen will. »So etwas solltest du immer tragen.« Entzückt betrachte ich seine Mütze. Ich muss die haben.
»Findest du?«
Ich nicke eilfertig.
»Kein Wunder, den Aufzug hast du dir ausgedacht. Ich finde ihn zutiefst demütigend, aber was soll ich machen, das hier ist deine kranke Phantasie.«
Günther schaut sich in der Steppe um.
»Mann, Mann, Mann«, brummt er. »Was für ’n Scheiß.«
»Ich dachte, dir gefällt so etwas.«
»In meiner nunmehr fünfunddreißigjährigen Tätigkeit als Schwerstbehinderter habe ich schon viele Idioten kommen und gehen sehen. Aber bei allen Göttern des Universums, du bist der wohl Bescheuerteste, den ich je getroffen habe.«
Ich bin aufgestanden und befingere Günthers Mütze, sie ist so weich, dass ich fast weinen muss. Günther fuchtelt ärgerlich mit seinem Schwert herum, gibt schließlich auf und reicht mir fluchend seine Mütze. Ich wiege sie überglücklich in meinen Armen.
»Ich habe Generationen von Zivildienstleistenden kommen und gehen sehen, und bei den Nebeln der Andromeda …«
»Ich habe es die ganze Zeit gewusst, du bist ein Außerirdischer.«
»Unterbrich mich nicht. Wo war ich stehengeblieben? Richtig, die Nebel der Andromeda. Egal. Ich hatte also reichlich Zeit, mich an die Tatsache zu gewöhnen, dass ihr Jungs nur bedingt zurechnungsfähige Wesen seid. Wir hatten da zum Beispiel vor Jahren diesen Typen, der ständig den Medikamentenschrank leergefressen hat, wobei leerfressen nicht unbedingt der richtige Ausdruck ist, weil es sich hauptsächlich um diese kleinen Tuben mit Sedativa gehandelt hat, die man Anfallspatienten in den Arsch drückt.«
»Ja, kenne ich von Rashid.«
Günther schaut mich misstrauisch an.
»Nein, ich schwöre. Ich hab nicht mal dran gedacht.«
»Unterbrich mich nicht. Ihr Jungs benehmt euch durchgängig wie verhaltensgestörte Dreijährige, wedelt mit eurem großartigen Abschlusszeugnis herum und glaubt, dass die Welt euer Spielplatz ist, deren Bewohner euch schon deswegen Applaus schuldig sind, weil ihr jetzt alleine schaukeln könnt.«
»Günther, ich …«
»Schnauze!«
»Jawoll.«
»Und es ist nicht so, dass wir kein Verständnis dafür hätten. Wir sind langmütig.«
Günther seufzt. »Wir arbeiten mit dem Material, das wir bekommen. Wir versuchen sogar, Flachpfeifen wie dich heil durch die fünfzehn
Weitere Kostenlose Bücher