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Betreutes Wohnen: Ein WG-Roman (German Edition)

Betreutes Wohnen: Ein WG-Roman (German Edition)

Titel: Betreutes Wohnen: Ein WG-Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Bartel
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verscheuchen, während ich die Urkunde entgegennehme. Auf dem Foto sehe ich vollkommen normal aus, aber noch stehe ich mit der Hand des Direktors in meiner auf der Bühne.
    Bei Bernd, dessen Nachname mit D anfängt, ist es eindeutiger. Er hält sich an seiner roten Kladde fest, weigert sich, dem Direktor die Hand zu geben, und lächelt ihn stattdessen an. Bernd lächelt sonst nie und steht auf keinen Fall gerne auf der Bühne. Aber diesmal bleibt er einfach stehen und lächelt noch ins Publikum, als sein Applaus schon längst verklungen ist. Als der Direktor ihn freundlich zum Gehen auffordert, streichelt ihm Bernd über die Wange und notiert das sofort in seine Kladde. Er sieht hochzufrieden aus, als er sich unter dem Gekicher der Stufe in seinen Stuhl fallen lässt, sein Experiment ist geglückt. Dann ist Rieke dran. Später verrät sie mir, dass sie die Pappe gar nicht genommen, sondern heimlich in die Hosentasche gesteckt hat, aber noch drücke ich ihr die Daumen, dass sie keinen Heulkrampf oder Lachflash kriegt, und mir wünsche ich, dass sie doch einen kriegt, damit ich sie retten kann. Rieke schwitzt und lässt ihr Zeugnis fallen, aber sonst kriegt sie es hin.
    Nach der Vergabe stehen wir auf dem Pausenhof und trinken Sekt. Die Eltern sind fast alle gegangen und meine Mutter hat das Zeugnis mitgenommen, damit es nicht verknickt. Bernd sitzt unter dem Baum am Rondell und schreibt seine Kladde voll, was niemanden wundert, weil er als Naturwissenschaftler und damit automatisch als Autist gilt.
    Die eklige Vertrauenslehrerin redet auf Tante Matthes ein, sie macht sich Sorgen um ihn, obwohl er nicht mehr auf ihrer Schule ist. Alle sollen sehen, dass sie sich Sorgen macht, findet die Vertrauenslehrerin, und Tante Matthes findet, dass alle sehen sollen, dass er sich abgeschossen hat, und so arbeiten die beiden hochprofessionell und konzentriert an ihrem Image.
    Rieke knutscht mit ihrem Freund rum und ich halte nach Anne Ausschau, denn Anne ist für mich das, was ich für Rieke bin, und deswegen findet sie mich , bevor ich suchen muss. Ich nehme Anne in den Arm und gratuliere ihr zum Abitur. Wir küssen uns und ich schiebe ihr meine Zunge in den Mund. Sie schmeckt nach Sekt, Vanilletabak und Hingabe, und als wir uns voneinander lösen, schaut sie mich aus diesen wässrigen, hilflosen Augen an, mit denen ich Rieke immer angucke. Jetzt zum Beispiel wieder, während Riekes Freund an ihrem Hintern herumgrabbelt.
    Anne will mich wieder küssen, obwohl sie doch sehen muss, dass ich Rieke hinterherstarre, und ich küsse zurück, damit Rieke das sieht, während Tante Matthes den Kofferraum seines Trabbis öffnet und die Anlage anwirft. Cutty Ranks beginnt umstandslos seinen Gott in kehligem Patois anzugrölen, dass er Barmherzigkeit walten lasse, und meine Schulzeit endet, ohne dass das LSD angeschlagen hätte.

2 Jetzt ist es raus. Rieke will für ein Jahr nach Israel gehen, sie hat sogar schon einen Platz in einem Kibbuz. Das hat sie gestern Anne erzählt und die hat es mir erzählt, also weiß ich offiziell gar nichts davon und deswegen könnte es als Zufall durchgehen, dass ich mich gerade dort als Zivildienstleistender beworben habe.
    Da haben Sie Glück, die letzte Bewerbungsrunde ist nämlich morgen, hat die Frau am Telefon gesagt. Sie suchen Bewerber, die sich intensiv mit Israel auseinandersetzen wollen und Spaß am interkulturellen Lernen haben. Außerdem sollte man sprachbegabt, handwerklich geschickt und erfahren im Umgang mit Tieren sein.
    Super, habe ich behauptet, dann passt es ja.
    Immerhin haben sie Rieke genommen, und die passt garantiert auch in keine der Kategorien.
    Zur Vorbereitung habe ich gestern Abend das Bücherregal meiner Eltern nach Material über Israel durchstöbert und immerhin das Gesamtwerk von Ephraim Kishon, den Roman »Exodus« und eine Sammlung mit jüdischen Witzen gefunden. Gelesen habe ich aber bloß das Witzebuch und dann nachts von einem Haufen chassidischer Rabbiner geträumt. Sie wollten mich zwingen, Pointen für ihre Witze zu erfinden, während Rieke von bewaffneten Mädchen in Faltenröcken auf ein Schiff entführt wurde. Anscheinend habe ich also irgendwann die Verfilmung von »Exodus« gesehen, denn schließlich ist auch noch Paul Newman aufgetreten, um mit Rieke in einer Technicolor-Wüste einen Staat zu gründen. Bevor ich in meinem eigenen Traum die Intifada ausrufen musste, bin ich aber aufgewacht.
    Eine Stunde später sitze ich in einem Büro für Freiwilligendienste und

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