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Betreutes Wohnen: Ein WG-Roman (German Edition)

Betreutes Wohnen: Ein WG-Roman (German Edition)

Titel: Betreutes Wohnen: Ein WG-Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Bartel
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Unterstufe ab und deswegen besteht meine Kleingruppe aus Milva, Günther und Horsti.
    Sie sollen unter meiner Leitung den Zoo erkunden, und ich weiß jetzt schon, dass es schiefgehen wird. Ich bin nicht gerade der geborene Anführer, aber mit diesen Dreien hätte sogar Dschingis Khan seine Not gehabt. Der kann froh sein, dass er bloß Mongolen zu befehligen hatte und nicht Mongoloide, sonst wäre er nicht so lange Chef geblieben.
    Natürlich sind nur Milva und Günther »Mongölchen«, wie meine Mutter immer noch gerne sagt. Danach schlägt sie ihre Hand auf den Mund, meint: »Huch, darf man ja nicht mehr sagen«, und sagt es beim nächsten Mal wieder.
    Was dagegen medizinisch mit Käpt’n Horsti los ist, weiß kein Mensch. Er ist halt ein Horsti oder, besser gesagt, ein kapitaler und ausgewachsener Vollhorsti allererster Kajüte.
    Wegen der langen Wege hatte die Leiterin unseren Bewohnern heute Morgen leichtes Marschgepäck verordnet, was aber höchst unterschiedlich interpretiert worden ist. Milva hat neben einer Butterbrotdose tatsächlich nur das Allernötigste mit: eine Stoffgiraffe, ihren Lieblingsmorgenmantel und ein gerahmtes Bild ihrer Familie, mit dem sie bereits im Zug hausieren gegangen ist, um sich bei allen Mitfahrenden vorzustellen.
    Käpt’n Horsti führt eine voluminöse Reisetasche mit sich, in die er aber keinen reingucken lässt, weil er angeblich im Geheimauftrag der Bundesregierung unterwegs ist, und Günther hat einen unbeobachteten Moment zu Hause im Fahrstuhl genutzt, um seinen Rucksack dort zu vergessen. Vielleicht hat er schon gewusst, dass ein Mofaproll die Tagesverpflegung für ihn am Kiosk klauen würde. Ausschließen würde ich das jedenfalls nicht.
    Ich zeige noch einmal auf den Spielplatz, zu dem sie sich im Notfall durchfragen oder hinbringen lassen sollen. Falls eine der Herrschaften verlorengehen sollte, sage ich und drehe mich zu meiner Kleingruppe um. Die Ansprache hätte ich mir sparen können, die Herrschaften sind nämlich bereits verlorengegangen.
    Als Ersten finde ich Günther wieder, und zwar vor dem Teich direkt am Eingang. Im Tümpel steht ein einsamer Flamingo auf einem Bein und schläft, den Kopf hat er ins Gefieder gesteckt und auf der anderen Seite des Zauns tut Günther desgleichen, nur eben im Sitzen. Er hat es sich unter einem Schild bequem gemacht, sein Kopf ist in den Nacken gerutscht und der Mund steht offen. Auf dem Schild steht »Bitte nicht füttern« und deswegen muss ich erst mal eine Menge Väter auf Fotosafari verscheuchen, die ein superlustiges Motiv gefunden zu haben glauben, mit dem sie ihren Dia-Abend aufpeppen könnten. Dann mache ich dasselbe Foto, aber bei mir ist es etwas anderes.
    Ich verfrachte Günther auf eine Parkbank, wo er sofort wieder einschläft, nachdem er die beiden Omas zuckersüß angelächelt hat, in deren Mitte ich ihn platziere. Die beiden Omas gehen jeden Tag in den Zoo, um heimlich die Eichhörnchen zu füttern, erzählen sie mir, aber heute werden sie Güntherchen füttern, das ahne ich schon, denn sie reagieren genau wie das Mädchen mit der Zahnspange. Aber wie gesagt, Günther mag Liebe.
    Milva zu finden sollte eigentlich nicht allzu schwer werden, sie ist zwar wesentlich besser zu Fuß als Günther, aber auch deutlich auffälliger. Milva heißt übrigens so, weil sie am selben Tag wie die Sängerin Geburtstag hat, außerdem hat sie ebenso rote Haare, wenn auch nicht unbedingt denselben Friseur. Unsere Milva steht nämlich eher auf selbstgemachte Dreadlocks, und egal wie oft sie von unserer Leiterin zum Haareschneiden geschickt wird – am nächsten Tag hat sie doch immer wieder ihren Filz auf dem Kopf. Das liegt daran, dass Milva beim Nachdenken mit ihrer Handfläche kreisförmig über ihren Kopf zu schrubben pflegt – und Milva denkt viel nach.
    Ich finde sie denn auch in ein philosophisches Streitgespräch mit einem Gärtner vertieft.
    »Ich kann nämlich lesen«, sagt Milva gerade.
    »Wie schön«, antwortet der Gärtner etwas unsicher.
    »Da steht: Betreten verboten.«
    »Ja. Und?«
    »Du stehst aber trotzdem da.«
    Milva duzt alles und jeden. Sie hat Hippieeltern und ist auf einem Biohof im Westerwald aufgewachsen. Ihre Eltern haben kein Problem damit, dass Milva behindert ist, und das sagen sie ihr auch jedes Mal, wenn sie zu Besuch sind. Sie haben eher ein Problem damit, dass Milva gern Schlager hört.
    »Ich darf das«, sagt der Gärtner.
    »Warum?«
    »Weil ich hier gerade arbeiten muss.«
    »Der da arbeitet

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