Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Bettler 02 - Bettler und Sucher

Titel: Bettler 02 - Bettler und Sucher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nancy Kress
Vom Netzwerk:
 
    Der schrille Alarmton, mit dem sich ein Anruf höchster Dringlichkeitsstufe ankündigte, zerriß die Stille in der höhlenartigen Künstlergarderobe hinter der Bühne. Drew Arlen, im Augenblick der einzige Benutzer, richtete den Blick auf das Holoterminal neben dem Schminktisch. Das Gerät registrierte sein Netzhautbild, und Leisha Camdens Gesicht erschien auf dem Holoschirm.
    »Drew! Hast du es schon gehört?«
    Der Mann im Rollstuhl mit dem muskulösen Oberkörper und den gelähmten Beinen wandte sich wieder seinem Augen-Make-up zu und beugte sich dicht an den Schminkspiegel. »Was gehört?«
    »Hast du Times um achtzehn Uhr gesehen?«
    »Leisha, ich habe in einer Viertelstunde meinen Auftritt! Ich hatte überhaupt nichts laufen.« Er hörte selbst, wie belegt seine Stimme klang, und hoffte, es würde ihr entgehen. Immer noch, nach all der langen Zeit. Und schon, wenn er bloß ihr Holo zu Gesicht bekam.
    »Miranda und die SuperS… Miranda… Drew, sie haben eine ganze Insel gebaut! Vor der mexikanischen Küste! Mit Hilfe von Nanotechnik und diversen Atomen aus dem Meerwasser – und beinahe über Nacht!«
    »Eine Insel«, wiederholte Drew. Er blickte sein Spiegelbild mit gerunzelter Stirn an, rubbelte an seinem Make-up herum und trug mehr davon auf.
    »Keine schwimmende Konstruktion! Eine echte Insel, die hinunterreicht bis auf den Festlandsockel! Hast du davon gewußt?«
    »Leisha, ich habe in fünfzehn Minuten ein Konzert…«
    »Ja, du hast davon gewußt, nicht wahr? Du wußtest, was Miranda vorhatte. Weshalb hast du mir denn nichts davon gesagt?«
    Drew drehte seinen Rollstuhl so, daß er den Blick frei hatte auf Leishas goldenes Haar, ihre grünen Augen und die GenMod-perfekte Haut. Sie sah aus wie fünfunddreißig; sie war achtundneunzig Jahre alt.
    Er fragte: »Weshalb hat Miranda dir nichts davon gesagt?«
    Leishas Züge glätteten sich wieder. »Du hast recht. Es hätte an Miranda gelegen, es mir zu sagen. Aber sie hat es nicht getan. Es gibt eine Menge Dinge, von denen sie mir nichts sagt – habe ich recht, Drew?«
    Ein Moment des Schweigens, der sich in die Länge zog, ehe Drew behutsam sagte: »Es ist nicht leicht zu verkraften, zur Abwechslung einmal zu den Ausgeschlossenen zu gehören, nicht wahr, Leisha?«
    »Du hast lange gebraucht, bis du dich aufgerafft hast, mir das zu sagen, stimmt’s, Drew?« fragte sie ebenso behutsam zurück.
    Er wandte sich wieder ab. In einem Winkel des riesigen Raumes raschelte etwas. Eine Maus? Ein defekter Robot?
    »Übersiedeln sie auf diese Insel?« fragte Leisha weiter. »Alle siebenundzwanzig SuperS?«
    »Ja.«
    »Niemand in der Welt der Wissenschaft hat geahnt, daß die Nanotechnik bereits eine solche Leistungsfähigkeit erreicht hat!«
    »Anderswo hat sie es auch nicht.«
    »Sie werden mich keinen Fuß auf diese Insel setzen lassen, nicht wahr? Nicht mal einen!«
    Er lauschte den komplexen Untertönen in ihrer Stimme. Leishas Generation von Schlaflosen, die erste Generation, konnte ihre Gefühle noch nicht völlig verbergen. Im Gegensatz zu Mirandas Generation, die alles verbergen konnte.
    »Nein«, antwortete Drew, »werden sie nicht.«
    »Sie werden die Insel mit irgend etwas abschirmen, was Terry Mwakambe erfindet, und du wirst der einzige Nicht-Super sein, dem sie Einblick gewähren in das, was sie dort tun.«
    Er antwortete nicht.
    Ein Bühnentechniker steckte schüchtern den Kopf zur Tür herein: »Zehn Minuten, Mister Arlen, Sir.«
    »Ja, ich komme gleich.«
    »Übervolles Haus heute, Sir. Alle schon ganz aufgeregt.«
    »Schön. Ich komme sofort.« Der Kopf des Technikers verschwand.
    »Drew«, sagte Leisha mit brüchiger Stimme, »sie ist für mich genauso Tochter, wie du Sohn warst… Was plant Miranda da draußen auf dieser Insel?«
    »Ich weiß es nicht«, antwortete Drew, und es war sowohl Lüge als auch Wahrheit – auf eine Art und Weise, die Leisha nie verstehen würde. »Leisha, ich muß in neun Minuten auf die Bühne!«
    »Ja«, sagte Leisha resignierend. »Ich weiß. Du bist der Lichte Träumer.«
    Drew starrte wieder die Holoerscheinung an: den hübschen Schwung der Wangen, die alterslose Schlaflosenhaut, den Anflug von Feuchtigkeit in den grünen Augen. Sie war der wichtigste Mensch in seiner Welt gewesen – und der wichtigste auch in einer größeren, öffentlicheren Welt. Und nun war sie, ohne es selbst zu wissen, passe.
    »Ja«, sagte er, »ganz richtig. Ich bin der Lichte Träumer.«
    Die Holobühne war wieder leer; er kehrte zurück

Weitere Kostenlose Bücher