Bettler 02 - Bettler und Sucher
programmiert, daß sie eine Entfernung von genau fünfzehn Zentimetern über der Bahn einhielten. Y-Kegel an der Unterseite der Plattform bestimmten die Geschwindigkeit; je steiler der Kippwinkel weg von der Energiebahn, desto schneller und desto unkontrollierbarer wurde das Ding. Der Lenker hatte nur einen einzigen Haltegriff zur Verfügung und dazu eine Art Knauf, an dem er ein Knie einhaken konnte. Das Ganze muß so sein, als würde man mit hundert Stundenkilometern im Damensitz reiten – nicht, daß irgendein Nutzer je von einem Damensitz gehört hätte. Nutzer lesen keine geschichtlichen Werke. Oder irgend etwas sonst.
Die Zuschauer hockten brüllend und johlend auf primitiven Bänken entlang der Rennbahn. Der Fahrer in Rot befand sich auf halber Strecke, als ein zweiter Roller aus der Startkapsel schoß. Mein Luftwagen hatte gerade die Einflugerlaubnis ins Sicherheitsfeld des Regierungskomplexes erhalten, das sogleich die Steuerung übernahm und mich ins Innere geleitete. Ich drehte mich in meinem Sitz um, soweit ich konnte, um die Rollerbahn im Auge zu behalten. Jetzt, aus geringerer Höhe, konnte ich den ersten Lenker deutlicher sehen. Er steigerte die Schrägstellung des Rollers immer mehr, obwohl er an einem Stück der Bahn angelangt war, das sich über Felsen und durch Senken und zwischen Haufen aus abgeschnittenem Geäst hindurch wand. Ich fragte mich, wieso er wußte, daß der nächste Roller hinter ihm aufholte.
Der Lenker in Rot raste auf einen halb von Gras überwachsenen Felsen zu, über den sich die gelbe Linie der Rennbahn hinwegschlängelte, und warf sich mit dem ganzen Gewicht nach vorn, um das Tempo zu verringern. Doch er hatte zu lang gewartet. Der Roller fing an zu rucken und zu schlingern, verlor die Führung durch die Bahn und überschlug sich. Der Fahrer wurde zu Boden geschleudert und prallte mit neunzig Stundenkilometern mit dem Kopf auf dem Stein auf.
Kurz darauf raste der nächste Roller über den Toten; seine Energiekegel hielten einen perfekten Abstand von fünfzehn Zentimetern über dem eingeschlagenen Schädel ein.
Mein Wagen senkte sich zwischen die Baumkronen hinab und landete zwischen zwei Beeten mit leuchtenden GenMod-Blumen.
Colin Kowalski kam mir in der Halle entgegen, einem Atrium in neo-Wright’schem Stil und deprimierendem Grau. »Meine Güte, Diana, du siehst aber blaß aus. Was ist denn los?«
»Nichts«, sagte ich. Rollerunfälle passierten immerzu und überall. Niemand macht mehr den Versuch, Rollerrennen gewissen Vorschriften zu unterwerfen, am wenigsten die Politiker, die sie finanzieren, um Wählerstimmen zu erhalten. Außerdem – was hätte es für einen Sinn? Nutzer setzen sich diese dumme Art von Tod nun einmal in den Kopf, genauso wie sie sich in den Kopf setzen, in die Sonne zu gehen und sich bis zur Besinnungslosigkeit zu besaufen oder ihr armseliges Leben damit zu verbringen, die Landschaft geringfügig rascher zu ruinieren, als die Robs sie wieder in Ordnung bringen können. UmweltRobs wurden in der Regel damit fertig, als noch genügend Geld zur Verfügung stand. Aber Stephanie hatte recht: es war mir egal, was die Nutzer taten. Warum auch nicht? Was meine Mutter auch immer vor vierzig Jahren getan haben mochte, heute jedenfalls sind Nutzer in politischer und wirtschaftlicher Hinsicht ohne Bedeutung. Allgegenwärtig, aber ohne Bedeutung. Es war nur, daß ich noch nie zuvor einen toten Rollerrennfahrer aus nächster Nähe gesehen hatte. Der zerschmetterte Schädel hatte nicht substantieller gewirkt als eine Blume.
»Du brauchst frische Luft«, stellte Colin fest. »Machen wir einen Spaziergang?«
»Einen was?« fragte ich entgeistert. Ich hatte gerade ausreichend frische Luft gehabt; was ich jetzt brauchte, war ein Platz zum Hinsetzen.
»Hat dir der Arzt nicht langsame Spaziergänge verordnet? In deinem Zustand?« Colin packte mich am Arm, und diesmal hatte ich mehr Verstand, als zu fragen: mein was!? Man kommt rasch wieder in Übung. Colin fürchtete, das Gebäude wäre nicht sicher.
Wie konnte ein Regierungskomplex unter einem Hochsicherheits-Y-Feld nicht sicher sein? Der Laden mußte mehrfach abgeschirmt sein, abhörsichere Datenleitungen haben und praktisch ununterbrochen nach Lauschern an der Wand abgeklopft werden. Es gab bloß eine einzige Gruppe von Personen, die man auch nur annähernd im Verdacht haben konnte, Monitoren entwickeln zu können, die so extrem unaufspürbar waren…
Ich überraschte mich selbst. Mein Herz tat doch
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