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Bettler und Hase. Roman

Bettler und Hase. Roman

Titel: Bettler und Hase. Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tuomas Kyrö
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und warum er hergekommen war, welche Ereignisse zum Traum gehörten und welche mit der Wahrheit zu tun hatten. Um sich herum sah er Wohnwagen, dubiose Stromanschlüsse, eine Baracke und einen Kugelgrill. In einem Fass brannte ein Feuer, über dem ein Kaffeekessel hing, am Horizont zeichnete sich die Stadt ab. Auch Balthazar war nun in voller Größe zu erkennen und nicht mehr nur ein Phantasiebild, das sich aufgrund der Stimme formte. Dem alten Mann fehlten ein Arm und ein Bein.
    Er antwortete auf die Frage, die Vatanescu gar nicht gestellt hatte, indem er erzählte, Arm und Bein seien während der Reise auf der Strecke geblieben, so wie uns immer etwas abhandenkommt, der eine vergisst die Uhr, der andere verliert sein Herz, der Dritte lässt den Mantel an der Garderobe hängen. Dann drückte er Vatanescu einen Stapel Zeitungen in die Arme und sprach davon, wie wichtig es sei, sich in Schichten zu kleiden. Man müsse sich so viele Zeitungen und Pappe unter die Kleider schieben, dass man sich kaum noch bewegen könne. Wolle man sich aufwärmen, seien die Toiletten von Hamburger-Restaurants gut geeignet, allerdings petzten Jegors Spitzel, wenn sich jemand unerlaubt entferne. Pro Tag gibt es nur einen Toilettenbesuch, wer gegen diese Vorschrift verstößt, wird auf Windeln gesetzt. Gegen Geld bekommt man Wolle, Stepp und Daunen, aber wenn das unter den Lumpen hervorschaut, fühlt sich der Almosengeber getäuscht. Ein Bettler kann sich keinen Stilbruch und keinen Anachronismus leisten, unter dem Lumpenrock der Bettlerin dürfen keine Manolo Blahniks aufblitzen, nicht einmal warme Treter ohne Leder.

    Vatanescu saß in der U-Bahn, stand auf der Rolltreppe, ließ sich an seinem Arbeitsplatz nieder. Von diesem Tag an regnete es, denn der Herbst war gekommen, der sich auf dem Land mit klarer Luft, allerlei roten und gelben Farben sowie brennenden Gartenabfällen bemerkbar machte. In der Stadt aber war der Herbst kalt, feucht und grau. Vatanescu versuchte, seinen Kopf leer zu bekommen, aber immer wieder war da irgendein Bild, ein Passant oder ein Geräusch, die das Bewusstsein ankurbelten.
    Vergisst man die Knieschmerzen, den Harndrang, das Heimweh und die Scham, ist das hier der langweiligste Beruf der Welt. Wie Fließbandarbeit, bei der sich das Band nicht bewegt. Aber die Welt ist in Betrieb. Wie viele Bauarbeiter freuen sich an ihrer Arbeit? Wie viele Aktenkoffermänner und Kostümfrauen?
    Sie leisten ihren Beitrag, damit sie ihren Anteil kriegen.
    Keine Sorge, Miklos, du sollst deine Stollenschuhe haben.
    Wenn eine Münze fiel, musste die Dankbarkeit mit einer minimalen Kopfbewegung zum Ausdruck gebracht werden. Keine Worte, schon gar nicht auf Englisch, hatte Jegor gelehrt. Man durfte nicht aus der Rolle fallen, musste einen Menschen spielen, der kein Zuhause hat, der nichts versteht und auch nichts kann. Man musste den Abstand von einer Armlänge und zwei Kulturen wahren, Bettler und Almosengeber sollten einander fremd bleiben, denn auf Bekanntschaft würde Gewöhnung folgen, beiderseitiges Verständnis und Problemlösung. Bad for business.
    Kaum voneinander zu unterscheidende Passanten, von denen keiner stehen blieb. Ein Kind deutete auf Vatanescu und fragte seine Eltern: Was ist das? Als Antwort folgte ein Zerren am Schulterstück der Jacke. Ein Mann mittleren Alters spuckte Vatanescu an. Eine alte Frau segnete ihn und hielt ihm eine religiöse Zeitung hin.
    Der durchschnittliche Nettolohn eines Arbeitstags betrug anderthalb Euro, wovon ein Euro Miklos gehörte. Der Hunger war quälend, in den Geschäften der Innenstadt bekam man für fünfzig Cent zwei Lakritzstangen. Wer Hunger hat, der friert ständig, wer Hunger hat und friert, der kriegt die Grippe, wer Hunger und Grippe hat und friert, der liefert miserable Arbeit ab. Die Finsternis vervielfacht sich, der Kopf füllt sich mit düsteren Gedanken.
    Warum will irgendjemand in dieses Klima?
    Der kalte Wind ist Folter. Der Regen dringt durch die Haut.

    Vatanescu hatte ausgerechnet, dass seine Atomkriegskonserven für einen Monat reichen müssten, aber eines Tages hatte Balthazar die letzten aufgegessen. Er könne nichts für seine Hand und seinen Mund, hatte der Alte gesagt, denn wenn dem so wäre, hätte er nie und nimmer eine solche Scheiße in den Mund genommen.
    Hunger – Anfang und Ende von allem. Vatanescu saß in der wimmernden U-Bahn und starrte ein Kind an, das einige Sitzreihen entfernt saß, vor allem starrte er auf den Hamburger, in den es

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