Bettler und Hase. Roman
Handrücken kurz an die raue Wange ihres Mannes.
»Das Kaninchen hat uns ja so gut gefallen«, sagte Ulla. »Sie haben es doch sicher dabei?«
Während Ulla nach dem Kaninchen fragte, nahm Esko Sirpale den Kindersitz aus dem Auto und trug ihn mitsamt dem weinenden Kind zu Vatanescu. Das Kaninchen wollte aus der offenen Tür springen, doch sie schlug unmittelbar vor seiner Mümmelschnute zu. Nichts mehr mit freiem Auslauf, offener Straße, unersetzlicher Mitwirkung und wichtiger Hasenrolle bei allen überraschenden Wendungen des Geschehens, es war nur noch ein Fortsatz von Vatanescu oder ein eingesperrtes Schmusetier, und keine der beiden Rollen hatte es sich ausgesucht. Es sprang vom Schaltknüppel auf die Rückbank und weiter auf die Hutablage.
Von dort schaute es den Menschen hinterher und hörte gedämpft eine unangenehme Stimme. Wenn Anneli weinte, hätte sich das Kaninchen am liebsten mit den Pfoten die Löffel zugehalten. Ein Menschenkind war eine sonderbare Naturgewalt, die ab und zu etwas ausschied, ab und zu spuckte, dann wieder ein Lächeln aufleuchten ließ, von dem das Kaninchen wusste, dass es nur Bauchweh war, und trotzdem löste das kleine Ding in seinen Fürsorgern riesige Liebe und Beschützerinstinkte aus, die, in die Tat umgesetzt, identisch waren mit Häusern, Autos, Versicherungen, Sommerresidenzen, Aktien, Spielplätzen, Bildungseinrichtungen und Vergnügungsparks. Das Kaninchen konnte das Weinen des menschlichen Welpen nicht verstehen, weil Tiere nicht weinen, sie lernen sofort, auf eigenen Beinen zu stehen und sich durchzuschlagen, sie können sich kein Weinen leisten, weil an jeder Ecke Fuchs, Jäger oder Greifvogel lauern.
Aber das war gar kein Weinen, das war eine Mischung aus Bitte und Befehl.
Anneli tat ihren Hunger kund und schwenkte zur Bestätigung die kleinen Fäuste.
Ulla stand auf, um das Kind zu betrachten und ihm etwas vorzusummen. Die Standuhr knackte. Hin und wieder röchelte der Kühlschrank, dann wieder Pentti. Ulla berührte Anneli Vatanescu-Pommakkas Nasenspitze, und für einen Moment hörte das Mädchen auf zu weinen. Vatanescu nahm es auf den Arm und beruhigte es, wobei er in seinem Aktenkoffer nach Fläschchen und Muttermilchersatz suchte. Routiniert schraubte er das Fläschchen auf, öffnete mit den Zähnen die Dose mit dem Ersatz und füllte die richtige Menge ab.
Trink
deine Milch, mein Kleines, trink, du im Zug gezeugtes Kind!
Die beiden hier wären gute Eltern geworden. Sie hatten ein Haus, das dafür gebaut worden war, ein Veteranenholzhaus im Originalzustand. Variable Raumaufteilung, im ersten Stock ein unbenutztes Zimmer.
Ein großes, gutgepflegtes Grundstück mit vielen Bäumen, klar abgegrenzt. Akzeptables Aufkommen nächtlicher Raubtiere.
Karotten- und Kartoffelbeet.
Ihnen fehlte nur ein Kind, das hier ein gutes Leben hätte.
Sie werden noch einmal gute Eltern sein.
Trink deine Milch, mein Kleines, trink.
Das Fenster auf der Fahrerseite war einen Spaltbreit offen. Sich vergessen fühlend und durstig, wand sich das Kaninchen dort hinaus und überlegte, ob es in die freie Natur hoppeln sollte oder verzweifelt mitten auf der Straße im Zickzack hin und her, wie es seine Artgenossen oft in den letzten Sekunden ihres Lebens taten. Das Kaninchen sah Vatanescu mit dem Baby auf dem Schoß auf der Veranda sitzen, es sah, wie Miklos sich das vierte Stück Hefezopf schnappte, es musterte Pentti und Ulla, Ulla und Pentti, und etwas von ihnen drang von der Veranda nach draußen, etwas Starkes, das nur ein Tier wahrnimmt, bevor auch nur ein Wort gewechselt worden ist. Das Kaninchen schaute auf den kleinen Jungen, der in dem alten Mann erwachte, weil ein kleiner Junge ins Haus gekommen war, und auf das Ausmaß der Fürsorge bei der alten Frau, weil sie ein weiches Bündel vor sich hatte. Ruhig hoppelte das Kaninchen auf die bröckelnde Betontreppe vor dem Holzhaus zu, sprang auf die erste Stufe, nahm die zweite, schob den Kopf durch den Türspalt der Veranda und zwängte sich hinein. Auf dem Flickenteppich sprang es zu Esko Sirpale und über dessen Fuß auf die Bank. Von dort auf den Tisch, um Butterpäckchen, Vollmilch und Anchoviskonserve herum, bis es vor Ulla und Pentti saß. Es richtete den Blick auf Pentti, dann auf Ulla, es nahm die Gerüche ihres Zuhauses wahr: Flanell, Schweiß, Harz, Teer, Hefebrot und Kiefernseife. Es rollte sich zu einem warmen, behaglichen Bündel zusammen. Es machte sich sofort unentbehrlich – es würde für Ulla und Pentti zu
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